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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Geschwistern, die sich bereitwillig als Versuchskaninchen anboten. Er versuchte zwar, sie davon abzuhalten, doch seine kleinen Brüder machten ein Spiel daraus, seine neuesten Produkte frisch von der Destille hinunterzukippen. Der kleine Moische mit den Schwimmhäuten zwischen den Zehen hing mehrere Stunden auf dem Plumpsklo fest, in denen er nicht nur seinen Babyspeck verlor, sondern auch seine Fähigkeit zum Lachen; wohingegen der achtjährige Gronim von einer stahlharten Erektion heimgesucht wurde, die sein kleines pezl einen Tag und eine Nacht lang gefangen hielt.
    Dann folgte die Explosion, die die alchemistische Phase von Schmerls Experimenten offiziell beendete. Er hatte gehofft, das esch m’saref zu reproduzieren, das reinigende Feuer. Dieses verwandelte die Grundelemente in einen flüssigen Stein der Weisen, der Stärke, Gesundheit und ewige Jugend gewährte und den Tod auf unbestimmte Zeit hinausschob. (Es hieß auch, dass bei diesem Prozess gewöhnliche Metalle zu Gold wurden, aber dieser Wirkung schenkte Schmerl keine Beachtung.) Er kochte Schwefel zusammen mit Holzkohle und Salpeter im Ziegelofen und hatte auch die geriebene Schale eines etrog zur Hand, um die wachsenden Flammen zu speisen, als plötzlich eine Explosion die dünne Wand von Todrus’ Lagerschuppen zum Einsturz brachte. Brennende Trümmer ließen eine Salve von Funken über die eingesunkenen Dächer des jüdischen Viertels regnen, und die Schindeln fingen Feuer. Wahrscheinlich wäre das ganze schtetl einem Brand zum Opfer gefallen, wäre nicht die Zunft der Wasserträger gerufen worden, um von der Dorfpumpe aus eine Eimerkette zu bilden. Schmerl selbst trat unverletzt, aber pechschwarz aus dem Schutt hervor, Haare und Augenbrauen zu Flecken geronnen, wo sie nicht weggesengt waren; die Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leib, seine Scham war nur noch mit einem Überrest des gestrickten taleß bedeckt. Er sah aus wie ein in behelfsmäßigen Retorten ausgebrüteter Dämon und erschreckte damit nicht nur die Kinder, sondern bekräftigte auch die allgemeine Meinung, dass er zum Schwarzkünstler geworden war, den es zu meiden galt, weil er nach verbotenen Dingen forschte.
    Ungefähr zu dieser Zeit tauchte in Schpinsk ein maßkl auf, ein selbst ernannter Vertreter der jüdischen Aufklärung, der einen Gehrock und einen schicken Bart trug. Er reiste in einem klapprigen, von einer Markise überspannten Transportwagen, der mit einem qualmenden Mechanismus angetrieben wurde. Diesen stellte er auf dem mark-plaz neben einem Händler ab, der zerbrochene Eier verkaufte. Nachdem er auf den Wagen geklettert war, rollte er die Markise zurück, um eine Galerie moderner Wunder zu enthüllen, die im jüdischen Rayon noch unbekannt waren. Einer skeptischen Menge, in deren Mitte wie gebannt auch Schmerl Karpinski stand, führte er einen Gasturbinenmotor vor, den er durch Drehen einer angewinkelten Kurbel in Gang setzte. Bei dem folgenden Krach fingen Säuglinge an zu quäken, und ein Zugpferd samt Geschirr ging durch. Er präsentierte Neongas in Vakuumröhren, die miteinander verbunden waren wie glühende wurschtn, und einen Elektromagneten in einer Kupferspirale, der einem mehrere Meter entfernten Scherenschleifer das Besteck aus dem Sack saugte. Als Pièce de Résistance gebrauchte er seinen eigenen stocksteifen Körper, um zwischen einem unter Spannung stehenden Draht in seiner linken Hand und einer Glasbirne in seiner rechten Strom fließen zu lassen und damit das Sonnenlicht am bedeckten Himmel herauszufordern. Hingerissen beobachteten die Bauern, Händler und schuleschwänzenden Kinder das Geschehen, während die Chassidim des Dorfs »kejn ajnore!« gegen den bösen Blick fauchten. Obwohl der maßkl mehrfach betonte, dass die Gegenstände, die er vorgeführt hatte, rein praktischen Zwecken dienten, war Schmerl - der noch nie besonderen Wert auf die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Magie gelegt hatte - davon überzeugt, dass man die Kraft dieser Erfindungen auch für spirituellere Anliegen nutzen konnte.
    Seit er aus den Überresten des Lagerschuppens und den Augen seines wutschäumenden Vaters verbannt war, hatte Schmerl sein Schaffen in die Umgebung von Jakob Mehltaus verlassener Kornmühle verlagert. Es war ein schwammiges, von der Vegetation beinahe zurückerobertes Bauwerk, in dem es nach Meinung der meisten Schpinsker spukte; es hieß, dass auf den zerrupften Windmühlenflügeln Kobolde ritten und dass nachts aus dem Dachboden

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