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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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fehlen?«
    »Egal«, lautete seine einfältige Erwiderung.
    Sie kniff die Augen zusammen. »Und was hat das Ganze dann für einen Sinn? Wozu gehst du dann überhaupt dorthin?« Es klang ausgesprochen streitlustig.
    Was hat es für einen Sinn zu atmen, dachte er. Was hat es für einen Sinn, geboren zu werden? »Gibt’s was, was einen Sinn hat?« Er wunderte sich selbst über den Anflug von Zorn in seiner Stimme. Musste eine Sache beschrieben werden, damit sie sich lohnte? Doch er wusste, dass seine Gereiztheit über ihre Frage nur daher rührte, dass er es nicht erklären konnte; und es trieb ihm Tränen der Frustration in die Augen, dass er selbst angesichts des größten Abenteuers in seinem früher so ereignisarmen Leben sprachlos blieb. Dann ertönte das Klingelzeichen zum Ende der Mittagspause, und Bernie nutzte die Gelegenheit, um sich für immer von dem Mädchen zu verabschieden.
    Aber später trödelte sie mitten in der Nachmittagsstampede der Schüler, die zu ihren verschiedenen Clubs, Cliquen und satanischen Umtrieben strebten, in der Glashalle herum. Bernie tat, als hätte er sie nicht gesehen, und stapfte zum Ausgang. Er kam bis knapp an die Schwelle, ehe sie wie hingezaubert wieder vor ihm auftauchte und ihm den Weg versperrte.
    »Und was liest du so?« Sie rückte ihre prall gefüllte Büchertasche zurecht.
    Er hielt inne, sah sie misstrauisch an und zitierte eine Liste von Unsterblichen: »Abraham Abulafia, Moses de Leon, Nachman von Breslov …« Das sollte reichen, um sie zum Schweigen zu bringen, dachte er, obwohl er selbst nicht wusste, warum er sie zum Schweigen bringen wollte.
    Ohne eine Miene zu verziehen, erkundigte sie sich: »Hast du schon mal Herman Hessie gelesen?«
    Der Autor sagte ihm nichts.
    »Und was ist mit Carlos Castaneder oder Autobiografie eines Yogi ?«
    »Kenn ich nicht.«
    »Die schreiben viel über veränderte Bewusstseinszustände.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Wie schon einmal an diesem Tag folgte betretenes Schweigen, und Bernie merkte, dass er wieder das Klingeln herbeisehnte, wenn auch vielleicht nicht mit aller Kraft. Trotzdem fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können.
    »Hast du schon mal LSD genommen?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Du?«
    »Nur ein einzigstes Mal.« Es klang wie eine Fremdsprache. »Ich hab in den Spiegel geschaut und hab gesehen, wie mir Schlangen aus den Augen und der Nase kriechen, ziemlich klischeemäßig. Das kann ich ohne Drogen besser.« Sie schniefte verächtlich, und Bernie schniefte unwillkürlich mit.
    Was war das überhaupt für eine Person mit dieser Puddingschüsselfrisur, dem burschikosen Auftreten und den grünen Augen, die trotz der vielen Wimperntusche erkennen ließen, dass sie nur deshalb so streng dreinschaute, weil sie ständig die Tränen zurückhalten musste? Ihr einziger Ohrring war ein silbernes Anch an einer Sicherheitsnadel, und Bernie fragte sich, ob ihr Körper vielleicht an versteckten Stellen sonderbare Markierungen trug. Seine Verlegenheit galt ihr genauso wie ihm selbst, denn egal, wie schlecht ihr Ruf bisher schon gewesen war, er würde darunter leiden, dass man sie im Gespräch mit der größten Lachnummer der Tishimingo High beobachtet hatte.
    Doch sosehr es ihn drängte, endlich von ihr wegzukommen, er war sich auch dessen bewusst, dass sie auf ihn gewartet hatte - und das hatte noch nie jemand getan. Trotzdem konnte er sich nicht aufhalten: Er musste den Bus zur schul erwischen, deren Besuch für ihn allmählich zu einem Nachmittagsritual wurde. Nach einem Tag in unangenehmen Klassenzimmern, ganz zu schweigen von Mülltonnen und Spinden, zog es ihn zu den Buchseiten, deren antiken Code er mithilfe ramponierter Grammatiken bald zu knacken hoffte. Sobald er ihre Bedeutung erfasst hatte, würden die Worte das Gewicht der Sache selbst annehmen, da sie ihren Inhalt nicht nur bezeichneten, sondern verkörperten. Als er sich gerade verabschieden wollte - er musste noch wohin -, stellte sie sich vor.
    »Ich bin Lou.« Etwas Herausforderndes trat in ihr Gesicht. »Das ist die Kurzform von Lou Ella, was klingt wie Louella, aber es heißt trotzdem Lou Ella.« Auf Bernies ratlose Miene hin erklärte sie: »Zwei Namen.« Ihr humorloser Tonfall gab ihm zu verstehen, dass er sich ja keinen Witz erlauben sollte.
    »Okay.« Um wiedergutzumachen, dass er nicht gefragt hatte, setzte er hinzu: »Lou Ella, und wie weiter?«
    »Tuohy.«
    Bernies Gesicht entgleiste, ehe er sich beherrschen konnte. »Bitte?«
    »Klingt,

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