Der gefrorene Rabbi
lokschn, die ihm Mrs. Weintraub (er konnte sich nicht überwinden, sie Esther zu nennen) zum Tee servierte. Außerdem ließ sie auf dem Küchenherd einen Kessel Wasser kochen, bis sich die Fenster beschlugen, und prahlte die ganze Zeit mit ihrer Tüchtigkeit. »Würden sie mich agune nennen im alten Land, aber hier wenn er geht, der Ehemann, bist du frei, zu suchen einen anderen, nicht wahr?«
Max teilte diese Meinung nicht, aber er hielt den Mund, weil er gemerkt hatte, dass er gar nichts sagen musste. Die Witwe leerte den dampfenden Kessel in eine große Waschwanne aus Zinnblech, dann füllte sie an einem Zapfhahn im Treppenhaus eine Schüssel, um das kalte mit dem warmen Wasser zu mischen und mit dem Finger die Temperatur zu prüfen wie für ein Kind. Als sie überzeugt war, dass es kühl genug war, forderte sie Max auf, sich zu waschen; danach konnte er alte Sachen ihres Mannes anziehen, während sie seine säuberte. (Sie kniff theatralisch die Nase zusammen, um anzudeuten, was sie meinte.) Mit einem Tingeltangellied auf den Lippen zog sie sich ins Schlafzimmer zurück, damit er allein sein konnte.
Nach einem argwöhnischen Blick über die Schulter warf Max die schmutzigen Kleider ab. Unwillkürlich fielen ihm die seidenweichen Konturen von Jochebeds Körper auf, anmutig trotz des säuerlichen Geruchs, verhasst ob der in ihnen schlummernden Provokation. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich in die Wanne sinken, bis sein tintenschwarzes Haar (das dringend geschnitten werden musste) aufgefächert auf dem Wasser schwamm, und alle Sorgen entschwebten mit dem aufsteigenden Dampf aus seinen Poren. In seiner Erleichterung über diese Ruhepause von seinen Nöten neigte er sogar dazu, Mrs. Weintraub als Geschenk des Himmels zu betrachten. Doch kaum hatte er sich wohlig in seinem Bad entspannt, als die Witwe hereinwatschelte und sich mit einem Luffahandschuh vom Waschtisch über ihn hermachte.
»Keine Sorge«, gurrte sie, »bin ich eine alte verheiratete Dame. Hoßt du nichts, woß ich nicht schon kenne.«
Als ihm der Schwamm in fließenden Achten Hals und Schultern streichelte, wäre Max fast ohnmächtig geworden, so wohltuend war die Berührung; doch als der Handschuh über die Schlüsselbeine hinab zu seinem sanften Brustansatz glitt, kam er wieder zu sich und tauchte mit mumienartig verschränkten Armen unter. Unter Wasser überlegte er sich, dass es wahrscheinlich Schlimmeres gab, als dieser lüsternen Frau sein wahres Geschlecht zu offenbaren; auf jeden Fall hätte er damit ihre Annäherungsversuche auf wirksame Weise unterbinden können. Doch Jochebed sah die Dinge anders und wollte lieber ertrinken. Als sie im Seifenwasser die Augen aufschlug, stellte sie sich wehmütig vor, in ein nasses Grab hinabzusinken, wo zerschellte Galeonen von Oktopoden bewacht wurden. Doch trotz des verlockenden submarinen Panoramas brannten dem Mädchen die Augen, und ihre Lunge rebellierte vor Hunger nach Luft, und schließlich tauchte Max mit einem gierigen Atemzug auf. Er war wieder allein in der Küche, da Mrs. Weintraub den Wink mit dem Zaunpfahl anscheinend verstanden hatte. Nachdem er hastig aus der Wanne geklettert war, griff er nach den Kleidern des abwesenden Gatten, die die Witwe zusammengefaltet über einen Stuhl gelegt hatte; ohne sich abzutrocknen, schlüpfte er hinein und floh Hals über Kopf aus dem Haus.
Jochebed trauerte um den heruntergekommenen Ausgehanzug ihres Vaters, den Max zurückgelassen hatte.
Nach der relativen Ruhe, die in der Wohnung geherrscht hatte, wirkten die Straßen umso lärmender. Ein Milchwagen stieß mit einer Bierkutsche zusammen, und die Fahrer sprangen vom Bock, um aufeinander einzuprügeln. Der bitterkalte Wind peitschte Mr. Weintraubs schlecht sitzende Hosenbeine, und ein dampfbetriebenes Automobil, das von einer streunenden Katze zum Bremsen gezwungen wurde, ließ ein schauerliches Hupen erschallen. Amerika war ein tojhu-wowojhu, ein Tollhaus, und es erbitterte Max, dass er diese zermürbende Reise auf sich genommen hatte, nur um hierherzugelangen. Es musste doch mehr hinter diesem Land stecken, als auf den ersten Blick zu erkennen war, es musste Orte ohne Schinder und schmejchlerß geben, wo man atmen konnte. Aber in der Lower East Side von New York befanden sich die Juden, und da das mame-loschn sein einziges Verständigungsmittel war, blieb Max nichts anderes übrig, als im Gewühl des Gettos herumzuirren.
So beschloss er, seine Kräfte fortan aufs Überleben zu richten. Als er
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