Der Gegenschlag - Extreme Measures
dass von allen Menschen, die ihm je begegnet waren, Mitch Rapp ihm noch am nächsten kam. Aber Rapp hatte bei all seinen Fähigkeiten immer eine klare Linie, die er verfolgte und an der sich kaum je etwas änderte. Hurley hingegen war stets so, wie die Situation es erforderte. Er war ein Zauberer, ein Entertainer, ein Philosoph, ein Killer und ein Mann mit Leidenschaften, die bisweilen unersättlich erschienen. Er war ohne Frage die schillerndste Persönlichkeit, die Nash je untergekommen war. Irgendwie schaffte es Hurley immer, in seinem Gegenüber die Dinge zum Vorschein zu bringen, über die man am allerwenigsten sprechen wollte. Er zwang einen, sich seinen Problemen zu stellen.
Während Nash in Richtung Maryland fuhr, fragte er sich, was Hurley nach Irene Kennedys Ansicht tun konnte, um ihm in seiner kritischen Situation zu helfen. Entweder wusste der Mann etwas, das ihm nützen konnte, oder er hatte irgendeine Idee, die ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schlaf rauben würde. Das war auch so eine Sache bei Hurley; er war von der alten Schule und scheute sich nicht, auch ziemlich fragwürdige
Strategien einzusetzen, um seine Schlachten zu gewinnen.
Nash musste sich eingestehen, dass Hurley ihn nervös machte. Dabei war es nicht so, dass er den Mann nicht gemocht hätte. Er fand ihn sogar auf seine Weise großartig - und Nashs Frau und sogar seine Kinder konnten den Alten ebenfalls gut leiden. Nash bewunderte so manches, was der Mann in der Welt der Spionage geleistet hatte. Aber sie beide hatten doch sehr unterschiedliche Wege im Leben eingeschlagen. Es gefiel Nash gar nicht, dass Kennedy ihn nach allem, was heute vorgefallen war, zu Hurley schickte. Hurley war die Notbremse im System. Der Typ, zu dem sie gingen, wenn es wirklich eng wurde und das Problem mit herkömmlichen Mitteln schwer lösbar erschien.
Es konnte sein, dass Kennedy die Nerven verlor, oder genauer gesagt, ihre gewohnte Ruhe. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich seit dem Angriff auf ihre Wagenkolonne im Irak im vergangenen Herbst verändert hatte. Sie war immer eine äußerst intelligente und fähige Chefin gewesen, die man, wenn die Situation danach war, auch einmal lächeln sehen konnte, die jedoch unter keinen Umständen Wut oder Zorn zeigte. Ihre Geduld hatte ihn immer schon beeindruckt. Sie war umgeben von heißblütigen Leuten aus der Operationsabteilung, wie ihm selbst, O’Brien und Rapp. Cowboys, die sich nicht scheuten, ihre Meinung zu sagen, und das manchmal auf sehr direkte und ungehobelte Weise. Aber auch wenn es um sie herum einmal laut wurde, behielt sie stets die Ruhe.
Doch nach ihrer Entführung hatte sich etwas verändert. Es passierte immer öfter, dass sie ihr Missfallen deutlich zeigte, und ihre sprichwörtliche Geduld war fast
völlig verschwunden. Was Nash jedoch am meisten beunruhigte, war das aggressive Verhalten, das sie neuerdings an den Tag legte. Jahrelang hatten sich Nash und Rapp für weitreichendere Operationen eingesetzt. Kennedy hatte jeden ihrer Vorschläge kritisch geprüft und in allen Einzelheiten unter die Lupe genommen. Sie hörte sich ihre manchmal verrückten Pläne geduldig an, um sie dann richtiggehend zu zerpflücken und die vielen Schwachstellen aufzuzeigen. Durch ihren Widerstand und ihre Kritik waren sie gezwungen, ihre Pläne immer weiter zu verbessern. Diejenigen, die wirklich Mist waren, wurden nie umgesetzt, weil Kennedy sie von allen Seiten betrachtete und ihre Schwächen erkannte.
Doch diese Zeiten schienen vorbei zu sein. Sie begegnete ihnen nicht mehr mit dem gewohnt kritischen Blick. Nash fürchtete, dass der Kampf gegen den Terror für sie zu einer persönlichen Angelegenheit geworden war und dass sie in ihrem Eifer unüberlegte Entscheidungen traf. Die Dinge gerieten aus dem Gleichgewicht, und Nash hatte ein Gefühl, als würde ihm ein Dreihundert-Kilo-Gorilla im Nacken sitzen. Er hatte schon viele gute Männer und Frauen gesehen, die dem ständigen politischen Kreuzfeuer in Washington zum Opfer gefallen waren. Menschenleben und nationale Sicherheitsinteressen wurden mit Füßen getreten, weil jemand politischen oder persönlichen Nutzen aus einer Situation ziehen wollte - ein äußerst unerfreulicher Zustand.
Nash hielt vor dem Haupttor des National Naval Medical Center an und zeigte seinen Dienstausweis. Der Wachmann trug ihn in seine Liste ein und winkte ihn durch. Nash stellte seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und machte sich auf die - wie sich herausstellen
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