Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
klobigen Räder der Fuhrwerke nach den Frühjahrsregenfällen tiefe Spuren hinterlassen hatten, drängte sich eine Menge von gut hundertfünfzig bis zweihundert Leuten um einen Brotbaum mit weit ausladender Krone, dessen übel schmeckende Früchte ausschließlich als Viehfutter taugten. Nur ein kleiner Junge, der abseits am Brunnenrand saß und auf einer selbst geschnitzten Knochenflöte spielte, schenkte dem Geschehen in seiner Nähe keine Beachtung.
Jona nickte ihm freundlich zu, als der Junge seine Flöte kurz sinken ließ und ihn, den Fremden, beäugte, der mit einem alten Stoffbeutel und einem schlaffen Ziegenschlauch über der Schulter an ihm vorbeikam. Er versank jedoch gleich wieder in sein selbstvergessenes Flötenspiel. Arme Leute waren mehr als genug aus der Umgebung in ihr Dorf westlich von Magdala geströmt, um den wunderlichen Mann reden zu hören, der sich Jesus nannte.
Jonas Augen suchten Timon in der Menge, vermochten ihn jedoch nirgends zu erblickten, was ihn nicht verwunderte. Sicherlich stand sein Freund weiter vorn bei dem Rabbi, dessen klare Stimme er sofort wiedererkannte. Aber durfte er ihn überhaupt noch seinen Freund nennen, da er doch gekommen war, sein Vertrauen zu missbrauchen und ihn auszuhorchen? Wie würde ihr Wiedersehen sein? Brachte er überhaupt den Mut auf, ihm in die Augen zu blicken? Oder würde ihn die Scham übermannen und ihm jedes aufrichtige Wort in seiner Kehle ersticken? Verdient hätte er es!
In den Tagen, die er mit der Karawane über die judäische Höhenstraße gen Galiläa gezogen war, hatte er sich abseits von den anderen gehalten und sehr viel Zeit gehabt, sich über alles tausendfach Gedanken zu machen und sich auf diesen Moment vorzubereiten, soweit das überhaupt möglich war. Immer wieder hatte er nach einem Ausweg gesucht, wie er es anstellen könnte, den schändlichen Auftrag des Hohenpriesters nicht auszuführen, ohne dabei Elia ben Eljasaf Schaden zuzufügen und ohne Tamar zu verlieren. Aber wie er es auch drehte und wendete, er hatte keinen Ausweg gefunden, sich aus der Schlinge zu befreien, die Kaiphas ihm um den Hals gelegt hatte.
Die ersten Tage der Reise waren von Ohnmacht, tiefer Bedrückung und Hoffnungslosigkeit bestimmt gewesen. Dann jedoch hatte er wieder etwas Zuversicht gefasst und auch zu ein wenig innerer Ruhe zurückgefunden. Denn ihm war auf einmal der rettende Gedanke gekommen, dass er womöglich Kaiphas geheimen Auftrag ausführen konnte, ohne dabei jedoch zum Verräter zu werden. Gewiss, er musste dem Hohenpriester viel von der Lehre des Nazoräers berichten, das stand außer Frage. Aber er konnte doch eine raffinierte Auswahl aus dem treffen, was ihm zu Ohren kam, das heißt einiges niederschreiben, anderes weglassen. Falls Kaiphas ihn in ein strenges Verhör nahm, würde er sich einfach damit herausreden, dass er ja nicht zum engen Jüngerkreis gehöre und seine Ohren nicht überall gehabt habe. Auch könnte er zu seiner Verteidigung anführen, dass sein Freund nicht so auskunftsbereit gewesen sei, wie er es sich erhofft habe - und dass sich ihm nicht immer Gelegenheit geboten habe, um sich unauffällig abzusondern und sich Notizen zu machen. Das würde ihm schwer zu widerlegen sein.
So hoffte er zumindest. Und er wusste, dass er sich damit auf einem gefährlich schmalen Grat bewegen würde. Denn er hatte nicht vergessen, dass der Hohepriester von einem zweiten Eisen im Feuer gesprochen hatte. Von einem Verräter, dem er denselben Lohn von dreißig Silberstücken bezahlen würde. Und er fragte sich, wer dieser Mann wohl sein mochte, der für Kaiphas arbeitete, und wie nahe dieser Unbekannte dem Nazoräer stand. Von ihm drohte die größte Gefahr, dessen war er sich bewusst. Aber er musste sich dennoch so aus der Schlinge zu winden versuchen, wie er es sich vorgenommen hatte. Im schlimmsten Fall... aber nein, daran wollte er nicht einmal denken!
Jona beeilte sich nicht, weit genug nach vorn zu kommen, um einen besseren Blick auf Jesus und seine Jünger zu haben. Auch versuchte er ganz bewusst, so wenig wie möglich von dem mitzubekommen, was da vorne unter dem Baum vor sich ging. Je weniger er hörte, desto weniger brauchte er abzuwägen, was in seinem Bericht auftauchen sollte und was nicht. Und um sich von den Stimmen abzulenken, die zu ihm drangen, summte er leise die Melodie einer Hymne vor sich hin, die am Sabbatmorgen in der Synagoge gesungen wurde.
Aber damit erregte er schnell den Missmut einiger Umstehender. Einer von
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