Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
zu den am Boden Liegenden, durchtrennte die Riemen ihrer Sandalen, warf sie ins Gestrüpp und setzte sich dann auf ihre Unterschenkel, sodass sie ihre Beine nicht wegziehen konnten.
Sie schrien in panischer Angst, weil sie nicht wussten, was mit ihnen geschah. Doch sie hatten das Messer in seiner Hand gesehen und ahnten, dass es mit dem Durchtrennen ihrer Sandalenriemen allein nicht getan sein würde.
Und das war es auch nicht. Denn ohne sich von ihrem Gezeter auch nur im Geringsten stören zu lassen, setzte Timon die Klinge jeweils an den vorderen Fußballen und fügte ihnen dort einen langen, kreuzförmigen Schnitt zu. Ein Schnitt, der nicht so tief ging, dass er ihnen bleibenden Schaden zugefügt hätte, aber doch tief genug, um ihnen für einige Zeit die Lust am Gehen zu rauben. Viermal schnitt das Messer durch Hornhaut und Fleisch, begleitet von schrillem Geschrei.
Unbeeindruckt wischte Timon sein Messer an Michajas Gewand ab, stand auf und blickte voller Abscheu auf sie hinab. »Uns habt ihr bis aufs Blut auspeitschen wollen, und ihr jammert wie alte Klageweiber, weil euch die Fußsohlen bluten?«, sagte er verächtlich und steckte das Messer in die Lederscheide zurück. »Dankt lieber dem Allmächtigen, dass ich euch nicht die Sehnen durchgeschnitten habe! Dann wärt ihr für den Rest eures Lebens Krüppel gewesen und hättet euer karges Armenbrot mit Betteln verdienen müssen!«
Ohne sich um die schrillen Flüche zu kümmern, die ihnen Henoch und Michaja hinterherschickten, kehrten Jona und Timon auf den schmalen Sandweg zurück.
»War das wirklich notwendig?«, fragte Jona, nachdem sie ihre wenigen Habseligkeiten aus dem Versteck auf der anderen Seite geholt hatten und nur noch sein Proviantsack darauf wartete, von ihm wieder aufgelesen zu werden.
»Es hat mir keine Freude bereitet, das kannst du mir glauben. Aber es ist eine notwendige Vorsichtsmaßnahme gewesen, um vor ihnen erst einmal Ruhe zu haben«, beteuerte Timon ohne jedes Zögern, während sie auf der Suche nach Jonas Proviantbeutel dem Weg in Richtung der oberen Furt folgten, wo der Wüstenasket predigte und taufte. »Wir können es einfach nicht riskieren, sie schon in wenigen Stunden wieder im Nacken zu haben. So viel Glück wie heute werden wir das nächste Mal wohl kaum haben.«
Dem vermochte Jona nichts entgegenzuhalten, hegte er doch dieselbe Befürchtung. Und so gestand er mit einem Nicken ein, dass Timon die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ihn bedrückte jedoch noch etwas anderes, und zwar der leichtfertige Ausrutscher, der ihm vor wenigen Stunden am Brunnen in Baruchs Gegenwart über die Lippen gekommen war.
»Wenn ich vorhin nicht so gedankenlos das Ziel unserer Reise herausgeplappert hätte, könnten wir uns jetzt sicher sein, dass Baruch den beiden nichts über unsere Absicht hat erzählen können«, machte er sich zerknirscht zum Vorwurf. »So jedoch müssen wir vorsichtshalber davon ausgehen, dass er vielleicht gehört hat, was ich gesagt habe, und dass es nun auch Michaja und Henoch wissen.«
»Wenigstens hast du nur vage von der Gegend um Tiberias gesprochen und nicht den genauen Ort genannt, wo wir Unterschlupf suchen wollten«, sagte Timon nachsichtig, als wollte er ihn trösten.
»Aber die Gegend zu wissen, wo wir uns verstecken wollen, wird ihnen reichen«, antwortete Jona, der sich nichts vormachte. Er war wütend auf seine eigene Dummheit, die nun bittere Konsequenzen nach sich zog. »Und auch wenn sie unsere Verfolgung so schnell nicht wieder aufnehmen können, so werden sie ihr Wissen doch an Barechja weitergeben, der irgendwelche anderen losschicken wird!«
»Ja, damit müssen wir leider rechnen«, stimmte Timon ihm zu und deutete nach vorn. »Da ist er, dein Proviantbeutel!«
Jona bückte sich Augenblicke später danach, und sie blieben kurz an dieser Stelle stehen, musste doch jetzt eine Entscheidung getroffen werden, wie sie beide wussten. Gedämpft drangen die Hilferufe von Michaja und Henoch an ihre Ohren.
»Bei deinen Verwandten in Galiläa Unterschlupf zu finden ist also vorerst nicht möglich«, stellte Jona mit einem Stoßseufzer fest, und große Niedergeschlagenheit breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Und das bedeutet, dass wir eigentlich wieder genau da stehen, wo wir in der Nacht unserer Flucht aus der Karawanserei waren! Wir sind wieder auf uns allein gestellt, und es gibt keinen Ort, wo wir wirklich sicher wären!«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Timon nach kurzem Zögern.
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