Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Versicherung, dass die Leitern auf festem Grund standen und oben durch Seile gesichert waren, half nicht gegen die Angst, die Jona bei jedem Tritt begleitete.
Seine Kleidung klebte ihm schweißnass am Leib, als er endlich von Jaftahs kräftigen Armen über den Rand gezogen wurde, auf festen Grund kroch und mit fliegendem Atem am Boden sitzen blieb. Und dann war auch schon Gerschon bei ihm, um ihn von der Augenbinde zu befreien.
»Ich weiß, es hat eine Menge Überwindung gekostet. Aber ihr habt euch tapfer geschlagen«, sagte er und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
Jona brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen und seine aufgepeitschten Nerven unter Kontrolle zu bringen. Dann erst nahm er im letzten schwindenden Licht des Tages das kleine Bergplateau wahr, auf dem er sich befand. Es erstreckte sich vor einer aufsteigenden Felswand etwa vierzig Schritte in die Länge und etwas weniger als die Hälfte davon in die Breite. Der Blick ging von hier aus nach Südwesten, über mehrere tiefer liegende Schluchten hinweg, und stieß schließlich in etwa zwei Meilen Entfernung auf die kahlen Züge einer anderen, quer verlaufenden Bergkette, die in flammendes Abendrot getaucht war.
»Wer ist bloß auf die verrückte Idee gekommen, bei den Zeloten Unterschlupf zu suchen?«, murmelte Timon neben ihm. Er war nicht weniger erschöpft und ebenfalls in Schweiß gebadet.
Jona erhielt keine Gelegenheit, ihm darauf zu antworten. Denn in dem Moment machte Gerschon sie auf die Männer aufmerksam, die von links aus einer Höhle traten und zu ihnen kamen.
»Der Mann mit dem kantig geschnittenen, rötlichen Bart und dem alten, ledernen Brustharnisch ist unser Anführer!«, raunte Gerschon ihnen zu. »Sein Name ist Barabbas.«
4
»Ihr seid also die beiden, die Gerschon das Leben gerettet haben!«, begrüßte sie der Anführer der Zeloten, dessen hoch gewachsene Gestalt alle anderen um eine gute Kopfeslänge überragte. Aus dem fettfleckigen, dunklen Lederharnisch, der von mehreren tiefen Schnittspuren scharfer Klingen durchzogen war, ragten muskulöse Arme wie Baumstämme hervor. Von seinem rechten Handgelenk wand sich ein kupferner Spiralreifen in Form einer Schlange halb den Unterarm hinauf. Sein dichtes, rotbraun gelocktes Haupthaar ging in einen ebenso vollen, kantig geschnittenen Vollbart über, der ein markantes, gut aussehendes Gesicht mit hellen, wachsamen Augen umschloss.
»Ja, die sind wir«, sagte Jona und hielt dem forschenden Blick des stattlichen Mannes stand.
»So, dann erzählt uns mal eure Geschichte!«, forderte Barabbas sie auf und nahm auf einem Felsbrocken Platz, der dafür genau die richtige Sitzhöhe hatte, während die anderen Zeloten einen lockeren Halbkreis um sie bildeten.
Barabbas ließ sie nicht aus den Augen, während Timon und Jona ihm nun von Berechjas skrupellosem Vorhaben erzählten, von ihrer Flucht durch die Wüste und wie sie am Jordan ihren Verfolgern entkommen waren. Es gab spontanes, schadenfrohes Gelächter, als Timon berichtete, wie sie Michaja und Henoch auf dem schmalen Uferpfad in die Falle gelockt und dafür gesorgt hatten, dass sie so schnell nicht wieder gut zu Fuß sein würden. Und jemand rief anerkennend: »Das nenne ich mutig! Solche Leute können wir gut bei uns gebrauchen!« Nur Bileam und einige wenige andere verzogen keine Miene und bedachten sie mit stummem Misstrauen.
Barabbas hörte ihnen aufmerksam zu und unterbrach sie nicht einmal mit Zwischenfragen. »Ihr seid also davongelaufene Schuldsklaven und wollt euch nun uns anschließen«, sagte er, als sie ihren Bericht beendet hatten.
»Ja«, versicherten Jona und Timon. Was hätten sie auch anderes antworten können? Sich bei den Zeloten zu verstecken und sich mit allen daraus folgenden Konsequenzen auf ihre Seite zu stellen, erschien ihnen als die einzige Möglichkeit, der Ergreifung durch Berechjas Häscher und damit lebenslanger Versklavung zu entkommen.
»Dann sind also unsere Feinde fortan auch eure Feinde?«, fragte Barabbas.
Jona und Timon nickten und gaben sich alle Mühe, den scharfen, prüfenden Blick des Anführers der Zeloten mit fest entschlossenem Ausdruck zu erwidern. Dabei rumorten in ihnen viele bange Fragen und das flaue Gefühl der Ungewissheit, auf was sie sich da in ihrer Notlage einließen. Und diesen inneren Aufruhr der Gefühle aus ihren Gesichtszügen fernzuhalten, fiel ihnen nicht gerade leicht.
»Dann sagt mir doch mal, wer überhaupt unsere Feinde sind!«, forderte Barabbas sie
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