Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
angelegt. Die hohen Mauern waren schon aus der Ferne zu sehen. Sie prangten in festem weißem Marmor und umschlossen die quadratische Plattform, die eine Seitenlänge von fünfhundert Ellen besaß. Das innere Heiligtum, zu dem allein die Priester Zutritt hatten, die dort im Zustand ritueller Reinheit ihren Dienst versahen, erhob sich in seinem Zentrum weit über die Mauerkrone hinaus. Monumentale Treppen, von ebenso monumentalen Brückenbögen getragen, führten aus der Stadt zu den Portalen hoch.
Nicht weniger eindrucksvoll, zugleich jedoch auch eine machtstrotzende Demonstration, wer in diesem Land herrschte, war die römische Festung Antonia, in der ein Großteil der Truppen stationiert war. Sie schloss sich an der Nordwestecke der Tempelanlage unmittelbar an das Heiligtum an, verbunden mit dieser durch Kolonnaden. Die reckteckige, mit hohen Türmen bewehrte Burg stand auf einem fünfzig Ellen hohen Felsplateau, das nach allen Seiten hin steil abfiel und dessen Hänge mit glatten Steinplatten verkleidet waren, um jeden Versuch, sie zu erklettern, schon im Keim zu ersticken. Denn den Machthabern war nur allzu bekannt, dass es zu den Hochfesten in der Stadt nicht selten zu Aufruhr kam, der sich gegen die römische Besatzungsmacht richtete. Deshalb rückte Pontius Pilatus auch jedes Mal zum Passah-Fest mit der geballten Militärmacht seiner Kohorten aus seiner Residenzstadt Caesarea an der Küste an, um persönlich in der Unruhestadt Jerusalem nach dem Rechten zu sehen und dort für eine eindrucksvolle militärische Präsenz zu sorgen.
Aber während die Antonia-Burg von außen das Bild einer uneinnehmbaren Festung bot, so war sie doch zugleich auch wie eine Stadt in der Stadt. Und ihr Inneres, so erzählte man sich, sollte alle nur denkbaren Bequemlichkeiten eines prächtigen Palastes bieten. Hinter den hohen Mauern und Türmen warteten auf den verhassten römischen Präfekten Pontius Pilatus, wenn er in der Stadt weilte und nicht seinen Stadtpalast benutzte, geräumige Höfe und Hallen, Bäder, großzügige Treppenanlagen, schattige Bogengänge, üppige Gärten mit Bronzestatuen, künstlichen Teichen und Wasserläufen sowie Festsäle und verschwenderisch ausgestattete Schlafgemächer. Überall traf das Auge in seinen Privaträumen auf Gold und Silber und anderen Prunk.
»So, bald haben wir es geschafft«, sagte Esra aufmunternd, als sie sich dem Nordtor der Stadtmauer näherten und seine Frau murrte, dass es so langsam voranging und gleich auch noch die Zöllner auf sie warteten. Denn dieser dichte Strom Menschen, unter denen sich auch viele Händler mit Fuhrwerken aller Art sowie mit hoch beladenen Eseln, Maultieren und Kamelen befanden, musste dieses steinerne Nadelöhr passieren. »Und lassen wir uns auch nicht von den Blutsaugern von Zöllnern die gute Laune verderben, Weib! Sollen sie ihre unverschämten Gebühren erheben! Wir haben allen Grund, dankbar zu sein. Und was die Geschäfte anbelangt, so werden wir auch trotz der Abgaben auf unsere Kosten kommen.«
Endlich rückten sie in den Schatten der Toranlage aus geglätteten Steinquadern vor, wo die Zöllner ihre Tische aufgestellt hatten und Soldaten postiert waren.
Jona achtete nicht auf das nun einsetzende Gezeter und Gejammer, das der Fischhändler anstimmte, als der Zöllner seine Warenladung taxierte, bestand es doch zu einem gut Teil aus Schauspielerei. Und Esra verstand sich gut darauf, sich in vorgetäuschter Verzweiflung den Bart zu raufen und den Eindruck zu erwecken, als wäre seine Familie zum Hungerleiden verurteilt, wenn er den verlangten Zoll bezahlen müsse. Er redete mit fast schluchzender, tränenerstickter Stimme von drückenden Schulden und vielerlei Unbill, die seine Familie getroffen habe, und einigte sich schließlich auf eine Gebühr, mit der er sich hinterher überaus zufrieden zeigte.
Jona sah sich indessen in der tiefen und geräumigen Toranlage um, in der es nischenartige Kammern und Räume für die Wachsoldaten gab. Und er dachte dabei an die Reise zurück, die nun hinter ihnen lag.
Im Großen und Ganzen war sie eintönig und ereignislos verlaufen. Nur einmal hatten sie es in Samaria mit Strauchdieben zu tun gehabt. Aber als Jona sich bei ihrem Näherkommen mit dem Schwert bewaffnet hatte, das dieses Schlitzohr Esra allen vorherigen Beteuerungen zum Trotz mitgenommen und erst am zweiten Tag nach ihrem Aufbruch hervorgeholt hatte, da hatten die doch lieber das Weite gesucht.
In diesen sieben Tagen hatte er viel Zeit gehabt,
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