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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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Führerschein stieg ich auf das Moped. Die beiden Frauen protestierten, doch die Welt umbrandete mich, die Straßen waren ein Labyrinth, und ich schlängelte mich eilig hindurch. Babak brauchte Hilfe, und ich strengte mich für ihn an, denn ich war sein Freund. Ich fuhr zum Schwarzmarkt, suchte Muhammad mit den verbotenen Büchern, fuhr im Zickzack zwischen den dichtgedrängten Gassen und den eingegrenzten Höfen, wie kleine Würfel aus bröckelnden Mauern. Die Blechtische, an die ich mich erinnerte, standen nicht an ihrem Platz, nur eine leere Gasse und nasse Mülltonnen. «Es ist wegen des Regens», erklärte ein zerlumpter Geigenspieler. «Der Junge mag keinen Regen, du findest ihn da hinten», sagte er und verwies mich an einen Laden für Arbeitskleidung in einem der Höfe. In dem schmalen Eingang saß Muhammad auf einem Schemel, rührte auf glimmenden Kohlen kochendes Wasser in einem rostigen Topf und summte mit gesenktem Blick, die Augen fast geschlossenen, ein altes Lied. «Muhammad, alles in Ordnung mit dir?»
    «Manchmal», antwortete er, und dann sah er mich, erinnerte sich, und ein Lächeln stieg auf. Nicht kalt, nicht verächtlich, sondern ein sanftes, warmes Lächeln der Sympathie, als sei es ganz selbstverständlich, dass ich zurückkam. Als habe er auf mich gewartet. Er rührte und sagte: «Kaffee mit Hasch», auf der Gasse, am helllichten Tag, als provoziere er mit Absicht, und lachte, «das ist das große Geheimnis für ein ruhiges Leben.»
    «Wo können wir etwas Heikles besprechen? Ich brauche Hilfe.»
    Er führte mich zu seinem Zimmer, diesen gefangenen, überfüllten Raum mit den einhundertsieben Kerzen auf den Bücherregalen und dem wackeligen Eisenbett. Er zündete eine Kerze an, ganz zufällig gewählt, es war eine Duftkerze. Wieder war ich mir nicht schlüssig, ob er mich auf die schimmelnde Matratze legen wollte. Ich sagte: «Babak, mein Freund, ist verschwunden.»
    «Aus welchem Grund?»
    «Hat denn jeder, der verschwindet, einen Grund?»
    «Es gibt immer einen Grund», stellte er fest.
    «Ich weiß nicht, er ist eventuell schwul.»
    «Manchmal kommen Homos zurück, manchmal nicht.»
    «Was meinst du damit, manchmal nicht?»
    Er zog einen Schemel ins Zentrum der Bücherwabe, stieg darauf, verpflanzte eine Kerze auf dem obersten Regalbrett und zog von dort ein Buch heraus, «Der Meister und Margarita». Dann schlug er es in der Mitte auf, blätterte, suchte irgendeine Seite, und reichte es mir. Es enthielt grünliche Seiten aus dünnem, rauem Papier, übersät mit Zeitungsausschnitten und Bemerkungen in einer hässlichen Handschrift. Das war eindeutig nicht Bulgakow. Ein Bild. Zwei Minderjährige. Die Augen mit Tüchern verbunden. Die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Ein Seil zieht sich vom Himmel herunter, eng um den Hals geschnürt. Noch einen Moment und der Boden unter ihnen wird wegfallen. Der eine in einem eleganten, gebügelten Hemd in Leuchtblau, der zweite im weißen Polohemd. Die Köpfe sind gesenkt. Das Haar gestutzt, glänzend. Schmale Lippen. Knabenhafte Haut. Knabenhafte Größe. Hinter jedem ein Maskierter, der sie festhält, den würgenden Halsknoten straff zieht. Der eine mit Strumpfmaske, der zweite mit einer schwarzen Kafija, kaum sieht man die Augen herausspähen. «Wie alt sind die?», fragte ich.
    «Siebzehn vielleicht», antwortete Muhammad.
    «Wie kann man nur?» Ich war erschüttert.
    «Mädchen ab neun, Jungen ab fünfzehn.»
    Muhammad hielt eine dünne, zerknitterte rote Aktenmappe in der Hand und erklärte: «So ist das Gesetz. Wenn dein Freund einen Mann geküsst hat in einem Akt unbeherrschter Leidenschaft, werden sechzig Schläge über ihn verhängt. Wenn es ein Vorspiel gab, ohne Penetration, hundert Schläge. Wenn zwei Männer ohne Blutsverwandtschaft nackt unter einer Decke geschlafen haben, jeder neunzig Schläge. Und da, Teil vier, lies, Hinrichtungsmethoden, Kapitel zwei, Sodomie, Paragraph 108 bis 126, wenn eine Penetration bewiesen ist, aktiv wie passiv, erhalten beide das Todesurteil. Die Methode der Hinrichtung wird nach Ermessen des Richters gewählt.» Das erläuterte er so kühl, als wäre es eine Allerweltssache. Er las weiter. Zu viel Information. Ein unwillkürliches Zucken meiner Lippen und Augenlider signalisierte mir, dass ich kurz davor stand zu explodieren, doch ich beschloss, es mir zu verbieten. Ich suchte einen verschwundenen Homosexuellen, offenbar war er verhaftet worden, vielleicht lag er verletzt auf dem Boden eines Folterkellers,

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