Der geheime Basar
wartete, bis alle ins Bett gegangen waren, mummte mich in Schal und Handschuhe ein, fing Chamad ein, und so gingen wir zusammen hinunter zur Straße. Ich band einen kleinen Getränkekasten auf den Rücken des Mopeds, wickelte den Kater in alte Lumpen und setzte ihn hinein, damit er mitfuhr und durch die Plastikstäbe hindurch sähe, was er dort draußen versäumte. Mit den Zähnen klappern sollte er. Die Straße lag still und verlassen da. Ich ließ den Motor an, ich brannte darauf, und schoss los. Wir genossen die Stadt, belebend und kalt in dem schneidenden Wind, der die Gedanken schärfte.
Ich erinnere mich an meine Gedanken, denn ein paar Stunden später fanden wir Babak nicht mehr. Ich dachte, dass ich nach Hause fahren und mich an Herrn Ali Samimis Grab setzen sollte, dass ich den Geruch von Mamas Freitagmorgenfrühstück, einem Gericht aus Fleisch und Weizen, vermisste. Ich dachte, dass ich Nilu heiraten und nach den schlichten Regeln leben sollte, legal und offen wie alle. Ich beschloss, dass ich sie als Braut wollte, ganz in Weiß mit einer Krone. Merkwürdig. Immer hatte ich gedacht, dass Schirin meine Braut würde, Schirin aus dem Schulbus, die meinte, dass ich ein gefährliches Lächeln hätte, und immer sagte: «Gefährlich im guten Sinn.» Zu jener Zeit war ich aus den Detektivromanen bereits herausgewachsen und zu Büchern über gebrochene Herzen fortgeschritten. Ich hatte es satt, nur in meinem Inneren zu lieben, also beschloss ich, ihr zu gehören. Wir gingen einmal gegen Abend im Wäldchen spazieren, setzten uns auf zwei niedrige Felsenbrocken dicht nebeneinander und redeten. Es war schön. Bis mich eine kleine Schlange am Fuß erwischte, keine zehn Meter lange Anakonda, bloß eine glitschige Kreatur, vielleicht sogar noch jung, die sich aufrichtete, ihr Maul aufriss und schnell zubiss. Im dem Moment war es beängstigend. Doch nicht weniger beängstigend war es, als Amir Teimuri plötzlich aus den Büschen hinter uns herausstürzte, als habe er uns die ganze Zeit beobachtet, und mich anbrüllte: «Nicht bewegen!», und mit einem Stein auf den Kopf der Schlange einschlug, bis er völlig zerquetscht war. Danach führte er uns weg. Ich lehnte mich an seine rechte Schulter, die tote Schlange baumelte über der anderen, und so marschierten wir zur Straße. Den ganzen Weg über redete der Verrückte über Schlangen, die ihre Beute durch Erwürgen töten und jeden Atemzug des Opfers dazu nutzen, um den Würgegriff zu festigen, bis sich die Blutgefäße verschließen, das Herz stillsteht und der Puls aufhört. «Du hast großes Glück», sagte Amir, «das war eine Kobra, nur durch ein Wunder ist dir kein Spritzer von dem Gift in die Augen gekommen.» Der Schwachkopf plapperte, und als wir die Hauptstraße erreicht hatten und ein Auto anhalten wollten, wechselte Schirin plötzlich auf die andere Straßenseite und ging davon. Ich dachte zuerst, dass sie sich nur entfernte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch sie ging, weil sie keine Lust mehr hatte, sich diesen Schwachsinn anzuhören. Amir versuchte mich aufzumuntern: «Vergiss es, das ist nichts für dich mit der da, die ist doch völlig verbogen, die Schlampe.» Am nächsten Tag fragte ich Schirin, ob sie denke, dass die Schlange vom Büro des Obersten Führers oder vom Propheten selbst geschickt worden sei, um uns beide von den Sünden der Lust fernzuhalten. Ihr gefiel der Scherz nicht. Ich fragte: «Bist du böse auf Amir?» Denn sie warf Amir ziemlich wütende Blicke zu. «Da brauchst du nicht böse sein», sagte ich, «er wollte doch nur aufpassen, aus Sorge.» Schirin winkte verächtlich ab, es war klar, dass es zu Ende war, doch ich blieb ihr das ganze Jahr treu, redete nicht mit anderen, betrachtete sie immer noch als mein Mädchen und dachte, wir würden erwachsen werden und heiraten.
In jenem Herbst in Anzali war schon ziemlich klar, dass Amir und ich keine Raumschifftrümmer finden würden. Sogar fliegende russische Spionageuntertassen streiften den Himmel nicht mehr, trotz des hartnäckigen Gerüchts von einem Leichnam, der in einem Testlager der Marinebasis eingefroren worden sein sollte – doch wir scheiterten bei dem Versuch, uns dort hineinzustehlen. Wir besaßen die Motoren eines Kühlschranks, einer Waschmaschine, eines alten Krankenwagens und etwas, das den Verdacht auf eine Lokomotive nahelegte, alle untersucht und geprüft, doch es gab keinen Beweis für irgendetwas Außerirdisches. Wir kletterten immer auf den Kontrollturm des
Weitere Kostenlose Bücher