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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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dort sein toter Körper. Tauben hüpften um ihn herum. Seitdem marterten sie die Schmerzen in der Nacht, und jede Illusion war ihr längst abhanden gekommen – so schloss sie und signalisierte mit einer knappen Handbewegung, dass sie am Ende angelangt war. Die Geschichte ließ mich mit meinen Gedanken zurück, und ich erinnerte mich, dass Herr Ali Samimi zu sagen pflegte: «Am schlimmsten ist es, sich nach dem zu sehnen, was man fast, aber am Ende doch nicht hatte.» Ich fragte sie: «Und was jetzt, was machen wir mit Babak und unserem Leben?»
    «Mein lieber Kami, du willst einen Krieg der Welten. Aber eine Veränderung geht gemäßigt vor sich. Werden wir lang genug leben, um sie zu sehen? Ich weiß es nicht. Schließlich haben wir, die Alten, eine Menge gelitten. Wir haben so viel verloren, wir haben von unserem Geld jede Kugel bezahlt, die ins Herz unserer liebsten Menschen geschossen wurde, wir und all jene, die noch mehr gelitten haben. Ich möchte nicht weniger als du, dass diese Aasgeier davonfliegen, denen nicht einmal die Hand zittert, wenn sie eine Jungfrau hinrichten, da Jungfrauen ihrer Ansicht nach das Paradies vergönnt ist. Doch was wird danach geschehen? Was wird das Volk wählen? Bist du überzeugt davon, dass sie nicht noch Schlimmeres wählen? Wir müssen der Natur ihren Lauf lassen, wir sollten uns nicht einmischen. Wir können nicht noch einen Fehler begehen. Wir wollen uns nicht gegenseitig erschießen. Wir wollen nicht in fünf gegnerische Staaten zerfallen. Wir wollen nicht, dass die Amerikaner eingreifen, dass sie das Feuer eröffnen, denn wenn sie das tun, wird es nicht für uns und unsere Freiheit sein, sondern zugunsten ihrer eigenen Wirtschaft, kalter Profit, sogar in Afghanistan führen die kapitalistischen Schweine bereits Verhandlungen mit den Taliban. Es hat bei uns nur ein einziges demokratisches Regierungsoberhaupt gegeben, und nur für kurze Zeit. Die Amerikaner haben ihn gestürzt. Und nun bin ich alt, und wie es scheint, will ich nicht unvorbereitet Selbstmord begehen. Wir haben nur zwei Möglichkeiten: die Revolution oder das Schweigen. Eine Revolution ist zu gefährlich bei uns. Die Revolution ist wie eine Wassermelone. Du hast keine Ahnung, was drin ist, bis du sie aufschneidest. Und Freiheit? Man wird nicht innerhalb eines Tages reif dafür. Ohne die Grundlagen von Freiheit überlebst du sie nicht. Es würde eine Katastrophe geben.»
    Ich versuchte trotzdem, ihr etwas entgegenzusetzen. «Demokratie impft man dem Körper weder von oben ein, noch zwingt man sie von der Seite her auf, sie muss von unten wachsen, wir werden irgendwann damit anfangen müssen.»
    Sie erhob sich von der Bank, wandte sich zum Gehen, unterdrückte offensichtlich ihre Gefühle und sagte versöhnlich: «Wir sind ein zu totalitäres Volk, das ist das Problem, alles oder nichts, und süchtig nach Drama und Romantik.» Einige Sätze von Frau Safureh schlossen damit, dass dieses Volk irgendetwas zu viel und zu sehr war. «Aber wir können doch nicht dasitzen und auf Debatten im Parlament statt auf Babak warten», erwiderte ich.
    «Uns bleibt keine Wahl, Kami», sagte sie, «wir sind jetzt in Gefahr.» Sie zögerte einen Moment und fügte dann betrübt hinzu: «Er hätte eine Operation zur Geschlechtsumwandlung machen sollen, der Junge, schade, dass ich nicht längst darauf bestanden habe.»
    In aller Ruhe begann ich, mir meine eigenen Gedanken zu machen, ob alles für den Fall, dass ich verschwinden würde; bereit wäre, woran sich jeder Einzelne erinnern würde, die letzten Worte, die unbeendeten Gespräche, und wie schnell sie wieder zur Routine zurückkehren würden. Die meisten Bilder, die mein Gehirn überfluteten, waren mir peinlich – ein grauenhafter Tänzer auf Hochzeiten, das würden sie von mir im Gedächtnis bewahren. Ich ging die Bilder auf meinem Computer durch und löschte zur Sicherheit die unschmeichelhaften Aufnahmen. Würde Amir um mich trauern? Innerlich hatte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden.
    Wir saßen in der Wohnung, hofften auf Ergebnisse der Nachforschung seitens Nilus Vater. Wir wandten uns nicht an die Polizei, suchten auch nicht nach Schnecke, sondern warteten – und dann kehrten wir ins Leben zurück.

22
    Wir begannen wieder zu leben, denn die Tage vergingen, keine Strafe traf uns, und wir verschwanden nicht. Und je näher ich Nilu kam, desto immuner fühlte ich mich. Ich hängte mich an sie, und sie war wie ein endloser Seufzer der Erleichterung. In der vierten

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