Der geheime Basar
Safureh mit ihrem Diener zur Wahlurne, um sicherzustellen, dass er gegen die Weiße Revolution von Muhammad Reza Schah stimmen würde, denn ihr selbst war es natürlich verboten zu wählen. Zwar hatte sie nichts gegen eine konstitutionelle Monarchie mit individueller Freiheit und Wahlrecht für Frauen, und von ihr aus konnte der Schah den muslimischen Kalender und den Islam überhaupt ruhig streichen, er konnte gerne auch den Analphabeten Bildung aufzwingen, der Korruption einen Riegel vorschieben und sogar Unternehmen privatisieren, das machte ihr alles nichts aus, im Gegenteil, doch der Gedanke, dass er das Land neu verteilen würde, was hieß, es den rechtmäßigen Besitzern wegnehmen, um es den Händen der armen Bauern anzuvertrauen, löste ein Zittern in ihr aus. Furcht. Warum sollte das gesamte Familienerbe ausgerechnet in ihrer Generation zersplittert und ihr, die im Munde der Bauern das Mädchen der großen Herzen genannt wurde, genommen werden, ihr, die auf einer weißen Stute ritt, großzügig Früchte an sie verteilte und sich für ihr Wohlergehen interessierte? Sie hatte es wirklich nicht verdient, enteignet zu werden. Draußen vor dem Rathaus heftete sich ein Mann an sie, der Alkoholdunst verströmte. «Kamran Mahdis, der Witwer», stellte er sich vor. Und versuchte sie zu überreden, ihren Diener anzuweisen, überhaupt nicht zu wählen. «Boykottieren, am besten ist boykottieren», erklärte er. Denn Herr Mahdis, gleich Frau Safureh, unterstützte zwar weder die Weiße Revolution noch die Agrarreform, doch ihm zufolge war es besser, sich völlig zu enthalten, denn die Abstimmung in diesem manipulierten Zirkus sei nur eine Unterstützung der amerikanischen Verschwörung, die darauf abzielte, die Diktatur zu festigen und die iranische Abhängigkeit vom internationalen imperialistischen Kapitalismus zu steigern. Ein Mann mit Wissen, dachte Frau Safureh.
Seit der Absetzung und Festnahme des demokratischen Ministerpräsidenten Mossadeq war Muhammad Reza Schah von derartiger Sicherheit erfüllt, dass er sich vom zurückgezogenen Weichling in den direkten Erben Kyros des Großen verwandelte, als trennten die beiden nicht zweitausendvierhundertachtzig Jahre. Er versprach, aus dem Iran ein Wunder der fortschrittlichen Welt zu machen, um jeden Preis. Und der Preis war schmerzhaft. Er schmerzte die wütenden Religionsgelehrten, das arme Volk ihrer Anhänger, die adeligen Grundbesitzer und – schlimmer noch – die Basarhändler, denn Muhammad Reza Schah hatte es satt, von ihnen abhängig zu sein. Er eröffnete neue Vermarktungsnetze, erließ Preiskontrollen, vergaß, dass es im persischen Reich noch nie empfehlenswert gewesen war, die Marktleute aufzubringen. Und vielleicht hatte Muhammad Reza ja recht – die Demokratie ist ein zu langsames Instrument, als dass man damit Veränderungen zum Guten herbeiführen könnte. Daher war er ein Diktator, und seine Savak-Schergen, die in den Folterkellern herumrannten, waren unter den grausamsten, die die Menschheit je kannte.
Also stand Kamran Mahdis auf den Stufen zur Wahlurne und blockierte Frau Safureh und ihren Diener mit seinem schwerfälligen Körper. Ihm war klar, dass der Mann ein Diener war, denn seine dürftige Kleidung sagte alles, doch er verstand nicht, was diese schöne Frau mit ihm zusammen machte, was sie überhaupt außerhalb des Hauses zu suchen hatte. Er war natürlich dafür, dass Frauen auf die Straße gehen durften, als liberaler Denker, der er war. «Wer sind Sie?», fragte er. «Eine streunende Hündin», gab sie ihm zur Antwort, und: «Mein Herr, bei allem Respekt, Sie werden mir lästig.» Da zog er sich zurück, verfolgte sie jedoch den ganzen Weg zurück bis zu ihrem Gut und ließ sich zu Füßen eines Baumes nieder, der zum Eingangstor blickte. In jener Nacht schrieb er ihr drei Gedichte. In der darauf folgenden wurde der Diener zum Militärdienst eingezogen, und in ihrer Verzweiflung erwog Frau Safureh, sich freiwillig für die Schulungstruppe zu melden, die ausgeschickt wurde, um die unwissenden Bauern in Lesen und Schreiben zu unterrichten. Sie war einsam. Und da tauchte dieser aufdringliche Amateurdichter mit seinem rötlich schimmernden Haar auf ihrer Schwelle auf und schlich sich in das demütige Herz der Frau Safureh. Sie heirateten auf der Wiese im Hof. Alle sagten, sie sehe aus wie eine vornehme Prinzessin, obgleich hinter ihrem Rücken getuschelt wurde, sie sei eine «Salita», das heißt, zu laut und ungebärdig, und über
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