Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
Vom Netzwerk:
mit ihrer gelassenen Stimme, «chubi, azizam? Geht’s dir gut, mein Lieber?» Und sie ging, um Tee aufzubrühen.
    «Wenn sie uns ohnehin einkreisen, was macht es Ihnen aus, etwas zu erzählen?», fragte ich. «Sie müssen es mir einfach erzählen.» Ich öffnete die Rollläden. Das versöhnliche Morgenlicht zeichnete den kleinen Salon weich. Rüstiger, als sie aussah, stieg sie auf einen Fußschemel, streckte eine Hand zum Bücherregal aus und reichte mir ein Buch. In der letzten Zeit war es kein gutes Zeichen, wenn man mir Bücher reichte. Ein Gedichtband. «Wie gesund ist es, sich von den schäumenden Wassern der Illusion forttragen zu lassen», zitierte sie. «Kamran Mahdis, ein gescheiterter Schriftsteller, kein Rettungsboot hat ihn aus den schäumenden Wassern seiner Uraltsünde und ihrer Strafe gezogen», sagte sie. Kamran Mahdis und Frau Safureh Mahdis, Mann und Frau. «Das war’s, was gibt es da zu erzählen?»
    «Ich weiß nicht, ob ich alles verstehe oder überhaupt nichts.»
    «Du und dein Computer werdet es am Ende schon verstehen.»
    «Kommunist?»
    «Die nationale demokratische Front.»
    «Und Sie?»
    «Alles Mögliche.»
    «Ist er tot?»
    «Tot.»
    «Das tut mir leid, Frau Safureh.»
    «Was gibt es da leidzutun? Die Dinge sind nun mal, wie sie sind. Wenn mein Tag kommt, werde ich diejenige sein, die sich entschuldigt.»
    «Wofür werden Sie sich entschuldigen?»
    «Nun, ich habe mich rehabilitiert», wich sie einer direkten Antwort aus, «ich habe einen Lebensunterhalt, Freunde, das Leben versinkt wieder in Routine. Wie gesund es ist, dass es keine andere Zuflucht gibt als die Routine, und dass wir keine Muße haben, um uns selbst zu betrauern, mein Lieber, was kann man schon sagen.» Sie atmete tief durch, ließ sich in die Tiefen des Sofas sinken. Ihr Handrücken sah ein bisschen wie eine verrottete Erdbeere aus, rau und natürlich, und ihre Augen waren riesengroß, drohten herauszufallen, die losen Lider hielten sich nur mühsam fest. Es schien, als sei sie in Wachträumen gefangen, selbst wenn sie über die Wirklichkeit nachdachte, oder vielleicht fand ihre gesamte Existenz ganz woanders statt. Ihr Gesicht zerfiel in unzählige Runzeln, als sie lachte. «Du bestehst darauf zu reden. Komm, wir setzen uns an die frische Luft», schlug sie ergeben vor, und wir gingen hinaus, setzten uns auf eine Bank in den Garten, umringt von Rosen und Dahlien, und eine weiße Sonne, von einer Dunstwolke verschleiert, trocknete den Tau auf den Pfaden. Und ich hörte zu.
    Im Jahre 1921 verließen die Russen zum ersten Mal das Land. Auch die Briten gingen. Persien war eher aufgegeben als befreit. Es folgte der Militärputsch. Reza Chan ernannte sich selbst zum Kriegsminister. Zwei Jahre darauf zum Regierungsoberhaupt. Wieder zwei Jahre später zum Diktator. Nach weiteren zehn Monaten war er bereits König, der erste Schah der Pahlavi-Dynastie. Er wollte sein Volk nicht muslimisch haben, er wollte es westlich, in Anzügen. Einen säkularen Staat wollte er – auch zum Preis von Zwang und Unterdrückung und der Ausrottung von Traditionen –, eine starke Armee, Wehrpflicht und natürlich Verehrung seiner Person. Zu jener Zeit kam Frau Safureh auf die Welt, exakt in der Woche, in der der Schah das Ende von Persien und den Beginn des Irans verkündete. Sie wurde auf einem Gutshof im Norden als Tochter wohlhabender Eltern geboren, mit einer kleinen Armee von Bediensteten und bewaffneten Bauern, die hin und wieder mit dem eigenen Leib das Plündern nomadisierender Diebesbanden aufhalten mussten. Je schlimmer die wirtschaftliche Lage wurde, desto mehr häuften sich die Überfälle, und als junges Mädchen gesellte sie sich zu der bewaffneten Wachtruppe, die ihr Vater unterhielt. Die Verteidigung war schwerer denn je, doch sie war hart und kämpferisch, und im Alter von achtundzwanzig immer noch unverheiratet. Ihre Eltern starben, wurden in der Familiengruft am Ufer der Quelle beigesetzt, die am Rande der seit Generationen in Familienbesitz befindlichen Ländereien sprudelte. Ihre ältere Schwester ließ sich in Frankreich nieder, ihr Bruder studierte in Boston. Sie blieb allein zurück, doch sie fühlte sich wohl. Niemand steckte seine Nase in ihre Angelegenheiten, sie ritt auf Pferden, pflückte Früchte in den Obsthainen, legte sich zwischen den Johannisbrotbäumen auf den Boden. Bei der Volksabstimmung im Januar 1963 stieß sie zufällig auf den betrunkenen Fabrikarbeiter Kamran Mahdis. An jenem Morgen reiste Frau

Weitere Kostenlose Bücher