Der geheime Basar
Kamran, dass er «lang daraz», langfüßig, sei, was unsensibel bedeutete.
Auf staatliche Anordnung hin wurden die Ländereien zu lächerlichen Preisen an die Bauern verkauft, eine Demütigung für das gesamte Geschlecht. Frau Safureh trennte sich von den Weinbergen und Maisfeldern, verkaufte das Pferdegespann, das sie so liebte, und betrachtete mit zögernder Hoffnung die sich verändernde Welt – Frauen im Parlament, in der Regierung, bei Gericht, Frauen fuhren sogar Lastwagen. Doch sie fühlte sich ausgeschlossen. An der Universität wurde sie nicht zugelassen, obwohl sie von frühester Kindheit an die Poesie von Firdausi und Hafez zu rezitieren wusste, Abstammung und Entschlossenheit besaß. Und jeder neue Anfang schien ihr plötzlich verloren. Sie versuchten, Kinder zu bekommen, doch es wurde nichts daraus. Was blieb ihr, außer einer kämpferischen Partei beizutreten und für Gerechtigkeit zu kämpfen? Die letzten gemeinsamen Winter brachten Frau Safureh und Kamran Mahdis in einer kleinen Wohnung am Monirijeh-Platz in Teheran zu. Sie liebte seinen Wagemut, seinen Leichtsinn, seinen Stolz. Er liebte an ihr, dass sie wild und natürlich war, ein trunkener Vogel ohne Flügel, dass sie sich nie von ihrem Wohlstand hatte lähmen lassen. Als es damit vorbei war, betrauerte sie das nicht, denn sie war mit ihm zusammen, mit dem gescheiterten Dichter.
Die drei Säulen der Weißen Revolution – Gott, Schah und Heimat – waren unterdessen neu definiert worden: Monarchie, Verfassung und Weiße Revolution. Gott war verschwunden. Muhammad Reza Schah erhob sich über die Götter. Sein Ende war nahe. Er legte eine neue Zeitrechnung fest, die nicht mehr bei der Hidschra, der Emigration des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina, begann, sondern mit der Herrschaft Kyros des Großen. Das Jahr 1976 wurde zu 2535. An den Jahrfeiern für das iranische Königtum wetzte die Masse ihre Zähne, denn die Prunksucht der Zeremonien gegenüber dem beschämenden Elend des Volkes ließ keine andere Wahl als die Revolution. Im Untergrund gingen Kassetten von Chomeini von Hand zu Hand, mit Predigten und religiösen Gesetzen, mit Versprechungen auf eine bessere Zukunft. Das Volk ging auf die Straße, alles Bestehende wurde zerstört, ein neues Leben ausgerufen. «Wir dachten, wir würden das Gute bringen», sagte Frau Safureh. «Jetzt ist es zu spät, sich dafür zu schämen. Wir schlossen uns den Ajatollahs an, wir waren überzeugt, dass sie am Morgen nach der Revolution alle in die Moscheen zurückkehren würden, dass sie die Politik den Politikern überlassen würden. Wir waren sicher, dass unsere Philosophie so stark war, dass wir siegen würden. Kamran war so klug und so felsenfest überzeugt, dass es der Wirklichkeit nicht gelang, mit dem Tempo seines Intellekts Schritt zu halten; und sie explodierte uns mitten ins Gesicht. Vielleicht haben wir vor lauter Spitzfindigkeit und Romantik, Begeisterung und Theorien das, was dann folgte, selbst über uns gebracht. Es ist nicht viel nötig, dass sich ein Glorienschein in eine Würgeschlinge verwandelt. Das ist die Geschichte, mein lieber Kami.»
Was? War das alles? Aber wie starb er? Sie sollte sagen, wer genau ihn tötete, unter welchem Vorwand. Hatte man ihm eine letzte Bitte gewährt, wie in den Geschichten? Hatte er sich von ihr verabschiedet? Oder lag er vielleicht eine Woche in einem Abwasserkanal herum, und sie suchte ihn, ohnmächtig in der tobenden Menge, weil niemand damals die Muße hatte, Leichen aus der Kanalisation zu fischen? Und worin hatte eigentlich ihr Beitrag bestanden? Und überhaupt, wie sind Revolutionen, wie ist es, ein Teil der gärenden Straße zu sein? Waren sie organisiert, oder war alles spontan? Und wann begriffen sie, dass die Sache verloren war? War Kamrans Bild in der Zeitung? Wurde wenigstens das Bild der Leiche veröffentlicht, oder wollten sie es vertuschen, seine Existenz auslöschen? Wenn sich die Schleusen der Geschichten schon einmal geöffnet hatten, dann sollte sie jetzt alles herausfluten lassen. Hatte sie ihn gewarnt oder warf sie sich vor, ihn nicht gewarnt zu haben? Vielleicht hatte sie genau das gemeint, als sie sagte, sie sei diejenige, die sich entschuldigen müsse. Ich fragte nicht, fixierte sie nur mit einem forschen Blick. Und Frau Safureh beschloss die Geschichte. Am letzten Tag seines kleinen Lebens hatte sich Kamran mit ihr an einem geheimen Treffpunkt hinter der Abd al-Azim Moschee in Ray verabredet. Als sie kam, erwartete sie
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