Der geheime Basar
Woche seines Verschwindens kehrten Gedanken zurück, die nichts mit Babak und den Schergen der Revolution zu tun hatten.
Eines Tages begleitete ich Nilu zu einem Treffen mit einer Journalistin aus Paris, die um ein Interview mit ihr gebeten hatte. Es handelte sich um eine lautstarke junge Frau mit einem voluminösen Notizbuch, die uns am Rande einer verlassenen Straße an den Hängen des Berges erwartete – eine romantische Szenerie für das Titelbild des Magazins. Ein kleines Tuch hielt schief und nachlässig ihr Haar zusammen, es war offensichtlich, dass sie mit den Gesetzen des Landes nicht vertraut war. Der eifrige Fotograf, den sie dabeihatte, stellte Nilu mitten auf den Asphalt und brachte sie in Position. Er schwankte bezüglich der Winkel, murmelte in gebrochenem Englisch etwas von Licht und Schatten, bis er sie in eine leicht geneigte Haltung drapiert hatte, ihr Kinn fasste und ihr Gesicht gerade nach vorn ausrichtete. Danach bat er sie, sich an ein windschiefes Straßenschild zu lehnen – «Vorsicht Kurven». Hinter ihr erhob sich ein leichter Staubwirbel, und eine verrostete Eisenstange markierte den Rand des Abgrunds. Der Fotograf schoss mit Blitzlicht, denn seiner Ansicht nach sei es sonst zu grau, und Nilu warf schüchtern aufreizende Blicke in die Kameralinse, sie überließ sich gehorsam den Händen der Profis.
«Nilufar, könnten Sie uns sagen, ob das nur der Anfang ist?», fragte die Französin, schlug das Notizbuch auf und wippte nervös mit dem Stift, als habe sie es eilig davonzukommen.
«Was meinen Sie damit?», fragte Nilu höflich zurück, und auf einen fremden Betrachter wirkte sie sicher erfahren und selbstsicher, doch ich nahm ein leichtes Zucken an ihr wahr; ein besonderer Anblick, Aufregung an ihr zu entdecken.
«Werden demnächst größere Dinge geschehen?», spitzte es die Journalistin zu.
«Ich hoffe», antwortete Nilu abgelenkt, sie war auf die Aufnahmen konzentriert, und man merkte, dass die Posen ihr nicht ganz behagten. Der Fotograf nahm ihr die Kopfbedeckung ab und sagte: «So ist es viel besser.»
«Wovon hängt das ab?», drängte die Journalistin. «Wer wird entscheiden, ob das nur der Anfang ist und ob noch größere Dinge geschehen?»
«Die Leute. Irgendwann werden sie sich entscheiden müssen, welches Leben sie wollen.»
«Würden Sie das präzisieren?»
«Ich ziehe es vor, über Autorennen zu reden», entschuldigte sie sich freundlich, eine Spur errötend. «Ich bereite mich auf die Formel 3 vor, danach auf die Formel 1, so sieht der Plan aus.»
Als Nilu von ihrer Planung sprach, schien es, als verliere die Journalistin das Interesse. «Es soll ein Porträt werden», erklärte sie, «eine Lebensgeschichte, wir wissen schon alles andere, es ist nicht nötig, mehr als ein paar Sätze von Ihnen zu zitieren.»
Der Fotograf wollte sie in einem feuerfesten Rennoverall ablichten, er holte seine Tasche aus dem offenen Kofferraum und zog einen roten Overall in ihrer Größe heraus.
Wieso plötzlich Formel 1? Wir hatten unsere erste einsitzige Rennmaschine noch nicht mal fertig, sie spuckte schwarze Wolken und hustete, hatte sich noch keinen Millimeter bewegt, und schon war es Nilu nicht mehr genug? Sie langweilte sich schnell. Neue Ideen schwirrten ihr durch den Kopf, und sie zermürbte die Journalistin damit. Einen Profiwagen von Ferrari plane sie, sieben Vorwärtsgänge, maximale Geschwindigkeit 350 km/h mit einer Beschleunigung von 100 auf 200 km/h in zweieinhalb Sekunden, 900 PS und 19 000 Umdrehungen pro Minute. Der Preis: acht Millionen Dollar. «Ja, wir werden das Geld mobilisieren», erklärte sie, «wir werden es zusammenbringen, keine Sorge.»
Und ich machte mir erst Sorgen, als ich begriff, dass ich gar keine so große Lust dazu hatte. Zehntausende würden ihr zujubeln, und sie, die Kleine, würde sich auf der Bühne aufbauen wie eine Märchenheldin, alle betören. Und sie würde natürlich siegen und mit einer Medaille dekoriert werden. Sie war das volle Leben, und ich war grau und tot.
Der Fotograf knipste energisch weiter. Ich setzte mich neben ihn auf einen Stein. «Ich habe einen Freund, der Fotograf ist», erzählte ich ihm, «er ist sehr talentiert, er würde gut zu einem französischen Magazin passen, aber er ist vor kurzem verschwunden, vielleicht weil er ein bisschen schwul ist. Wir haben es schon aufgegeben, nach ihm zu suchen.» Die Journalistin spitzte die Ohren. «Ich meine, auch wenn Homos manchmal verschwinden, was klar ist, steht es uns
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