Der geheime Basar
alle Russen, Überbleibsel der Besatzung. Herr Ali Samimi liebte es, uns von der Besatzungszeit zu erzählen, wie die Prinzessin Aschraf Pahlavi, die Zwillingsschwester des Schahs, sich an den Toren des Kremls einfand, auf Stalins groben schwarzen Tisch schlug und mit Nachdruck verlangte, dass die Rote Armee abziehen solle. Der große Kommunist war so verzaubert von der Leidenschaft der kühnen Rednerin, dass er, wie man sich erzählt, stehen blieb, lächelte und zu seinem herben Gefolge sagte, oh, hier haben wir endlich einmal eine mutige und wahre Patriotin, da könnt ihr etwas lernen. Er zog sich am Ende zurück, allerdings nicht wegen der Prinzessin, sondern weil die Amerikaner mit einer Eskalation drohten, doch in Herrn Ali Samimis Version war es ganz allein die junge Prinzessin, die siegte. Er sagte immer: «Diese vernagelte Dickköpfin, Gott behüte sie.» So sagte er immer, mit Bewunderung in seiner Stimme, und dann seufzte er und predigte uns: «Nur zwei Möglichkeiten hat ein Mensch in seinem langen Leben, zu kämpfen oder sich zu ergeben, und was auch immer er beschließt, Hauptsache, er weiß es sich gut zu erklären, am wichtigsten im Leben ist, dass er es gut begründen kann.»
Samimi ist überhaupt nicht der Name eines Wassermelonenverkäufers, dachte ich, als ich so versteinert dalag. Es ist der Name eines Intellektuellen, eines Aristokraten vielleicht. Seltsam. Vielleicht war er halb Russe, vielleicht sogar ein Spion, vielleicht hatte er seine Besitztümer verloren, der Arme, oder vielleicht aus eigener Wahl beschlossen, zum Mark abzusteigen, ernüchtert. Doch vielleicht ließen meine Erinnerungen wichtige Einzelheiten aus? Ich spürte, wie ich zappelte, am Kran hing, im Wind zwischen Leben und Tod schwebte. Sogar so kann man schlafen. Keine Illusionen mehr.
31
Der Frühling endete. Ich dachte, man müsse die Wahrheit bewältigen und weiterleben. Welche Art Leben wollte ich nun für mich? Ich wusste es nicht.
Es gab kleine Siege. Die Regierung versprach, eine vorläufige Aufhebung der Hinrichtungen durch Steinigung zu erwägen. Ein religiöser Entscheid, unter Vermittlung des Ministeriums für Religion, bestimmte, dass es keinen Hinderungsgrund für eine Frau gebe, mit Männern in einer Sportart zu konkurrieren, solange keine Körperteile entblößt würden und kein Körperkontakt bestehe. Die neue Rennfahrerin Farideh Habuschi trat im Azadi-Stadion an – umarmt vom Gebrüll der Masse. Und Frau Safureh schickte eine Postkarte von sich mit einem Roboter. «Ich bin in Japan, ganz und gar, ihr könnt mir glauben, ich schwöre es.» Aber wie konnte man sicher sein? «Viele hier in Japan interessieren sich für mich, schätzen meine außerordentliche Lebensgeschichte, die von uns allen. Darin liegt ein Trost. Ich habe eine Wohnung in den Türmen Tokios und einen jungen Roboter. Eines Tages werden sie sich gegen uns alle erheben, diese Roboter, aber vorläufig ist es bequem. Er ist eine Art Haushaltshilfe und auch mein eigener kleiner Freund. Hättet ihr das geglaubt?» Man konnte es unmöglich wissen. Aber was spielte das schon für eine Rolle.
In den kleinen Stunden der Nacht schlief Amir bei mir im Bett. Und ich balgte mich mit dem Kater. Duschte mich ständig. Simulierte eine Menge falscher Identitäten im Internet, korrespondierte mit Fremden über nichts, glaubte von ganzem Herzen, dass ich nicht ich sei, sondern ein Kampfpilot aus Jugoslawien, ein Reptilienspezialist aus Brasilien, Besitzer einer Muffin-Ladenkette aus North Carolina, der sich im Gefolge einer nicht aufgeklärten Mordaffäre auf den Fidschis versteckte. Wer ist schon Megalomane genug, um als er selbst zu schreiben, und wer hat die Stärke dazu? Nicht einmal mich im Spiegel anzuschauen vermochte ich. Ich war ein kleiner, dunkler Mann mit eingesunkenen Augen und verkrümmten Händen. Das Lächeln breit, aufgeblasen, falsch. Und in meinem Bauch tobte ein Vulkan. Auch in den Fingern. Nächte mit Porno. Nächte der Konspiration. Nächte der Wahrheit. Und ein heulender Lärm stieg über der Tastatur auf, drang durch all meine Glieder, durch die immensen Ströme von Worten, die ich schluckte.
Ajatollah Karimis Website für Heiratsvermittlung und Sexologie:
«Sehr verehrter Ajatollah Karimi, seid gegrüßt, ich habe eine sehr gute Bekannte. Ich möchte, dass sie weiter meine Bekannte bleibt. Nur wie? Heiraten können wir nicht, weil ihr ältester Bruder, der sexuelle Beziehungen mit ihr unterhielt, es uns verboten hat. Ich würde
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