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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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waren bunte Stoffbänder geknüpft. Und ich habe gesagt, ich hoffe, dass ich Kinderarzt werde. Denn zu dieser Zeit dachte ich, das würde ich werden. Erinnerst du dich, Kami? Und du hast zu mir gesagt, was vergeudest du deine Wünsche an etwas, das du sowieso problemlos erreichen wirst? Aber mir fiel nichts anderes ein. Als du an die Reihe kamst und alle auf deinen Wunsch warteten, hast du gesagt, du wünschst dir, kühn zu sein. Und bist errötet wie ein kleines Mädchen im Tschador. Deine Mutter wurde zornig, jetzt komm, red keinen Blödsinn. Du meine Güte, Kami, du brauchst nicht kühn sein, sei offener und umgänglicher, das ist es, was du brauchst, und die Welt wird dich anlächeln. Und dann verbesserte sie sich schnell und sagte, aber sei jedes Mal misstrauisch, wenn sie dich anlächelt, nicht kühn und nicht naiv. Dein Großvater, den das alles nicht kümmerte, deklamierte, der wahre Morgen wird nicht kommen, bis die Nacht von Jalda gegangen ist. Und wir haben auf dem Teppich gerauft, und alle um uns herum schauten uns amüsiert zu.»
    Amir schloss die Augen. Chamad, der Kater, schlich um ihn herum, schnupperte an seinem Gesicht, ließ ihn nicht einschlafen. Amir erinnerte sich, und eine nasse Furche gefror auf meinen Wangen. Ich wollte sie nicht wegwischen. Es war mir recht zu wissen, dass sie dort war. «Was soll ich tun?», fragte ich.
    «Schließ die Augen und kehr nach Hause zurück», sagte er. «Versuch, dich an die Strömung des weißen Flusses zu erinnern. Kletter auf die Benzincontainer. Mach die Augen zu und sehe uns, wie wir uns einen Weg durch das Schilfrohrdickicht bahnen, rot vor Anstrengung, in den uralten Wasserkanal pinkeln, mit dem lahmen, windschiefen Boot trudeln, das Floß, das du mit Müll gepolstert hast. Gleich ist Schanbeh-Basar, mit dem Fischgestank. Jeder Fisch hundert Kilo. Riechst du es? Und Tumult. Gedränge. Die Fischer sitzen auf gelben Liegestühlen auf der Mole. Die krummen Brücken spiegeln sich im Wasser. Wir rennen den ganzen Tag mit Cheetos-Packungen mit dem orangefarbenen Panther herum, die du nur wegen dem Los immer weiter gekauft hast. Die Lichter gehen an auf der Promenade, als es dunkel wird. Du siehst die Senkkugeln der Fischernetze. Und die dunklen Felsen, die roten Blechbaracken, denk an uns dort, wenn die Nacht am finstersten ist, kurz vor der Dämmerung, wie wir vor und zurück gehen, Anlauf nehmen und dann barfuß ins kalte Wasser rennen, nur um zu wissen, dass wir dazu fähig sind, es gibt nichts, wozu wir nicht imstande sind, du und ich. Spätnachts. Wir haben das Boot auf die Reifen mitten im Schilfmeer gelegt und sind eingeschlafen.»
    «Ich wäre wirklich gerne kühn», sagte ich.
    Amir lachte leise. «Dann sei kühn, ich werde dich weiter lieben, auch wenn du kühn bist.»
    «Hör auf, so zu reden», fiel ich wütend über ihn her, «hör auf, alles die ganze Zeit schönzureden. Sag harte Worte zu mir, aber sag die Wahrheit. Was soll werden?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Mir bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder ich löse mich vollkommen, streiche alles, was mich kümmert, oder das Gegenteil, mit meiner Wut bis zum Ende gehen, kämpfen wie ein bemitleidenswerter Idiot, und wissen, dass die Chance besteht, völlig umsonst zu sterben, mich aber mit mir selbst im Reinen zu fühlen, das ist der Preis, bei Allah, ich hab’s wenigstens versucht, habe auf mein Herz gehört. Nur diese zwei Möglichkeiten gibt es. Denn so weitermachen wie jetzt, so zu leben, Amir, zu wissen und nichts mit dem Wissen anzufangen, nur mit diesem Wissen dazusitzen und verzweifeln, das ist unmenschlich.»
    «Dann nimmst du also den Kampf auf?», fragte Amir und lächelte, ohne Geringschätzung, fast mütterlich.
    «Vielleicht», antwortete ich und gab ihm ein Lächeln zurück.
    Er schlang seine Arme fest um mich. «Die Freiheit zu rebellieren und bestraft zu werden, die wirst du immer haben», sagte er, «damit eilt es nicht.»
    «Im Moment fühle ich mich wirklich ein bisschen revolutionär», flüsterte ich, «der Teheraner Frühling, klingt gut, nicht?» Eine Menge guter Leute werden hier am Vank-Platz sterben, wenn die Revolution kommt, dachte ich. Das wusste ich und nahm es hin. Doch vielleicht kämpfte ich auch bloß darum, jemand zu sein, der ich nicht war.
    Amir schlief ein. Und ich döste, wachte auf, döste wieder. Mondsplitter brachen durch. Ich hoffte, dass die Sonne bald aufgehen würde. Bob Dylan jaulte die ganze Nacht.
    Manchmal in Anzali stellte ich mir vor, wir seien

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