Der geheime Basar
Flaggen und Münzen auswendig, bereitete sich auf die Rolle einer Weltbürgerin vor, und nun war es so weit. Also taten wir so, als freuten wir uns.
Ein letztes gemeinsames Mahl in der Nacht. Hastig aßen wir Schüsselchen mit Körnern in Milch auf dem Rand von Frau Safurehs durchhängendem, altem Holzbett sitzend. Ringsherum lauter Haufen, zusammengeknüllte Kleider und verknitterte Stoffe – und schwere Entscheidungen. Man konnte unmöglich alles mitnehmen, nur neunundzwanzig Kilo waren erlaubt, der Rest würde zurückbleiben. Zahra sagte: «Alles geschieht so schnell in letzter Zeit, wenigstens hat man uns diesmal eine Gelegenheit zum Abschied gelassen. Das ist nie selbstverständlich», tröstete sie sich, «man muss dankbar für die kleinen Gnaden sein.»
Der Ölofen färbte das Zimmer orange, ein Gefühl von Ende lag in der Luft. Die alte Frau versprach, Ansichtskarten aus Japan zu schicken. Und Zahra bat sie, nichts zu schreiben, was entlarvend oder subversiv wäre, damit nicht auch wir am Kran im Dschamschidieh-Park endeten. Behutsam fragte ich, warum sie meine, dass die Japaner einer älteren Frau wie ihr erlauben werden, sich bei ihnen niederzulassen. «Wegen der negativen Geburtenrate», antwortete Frau Safureh umgehend und führte aus, dass es in Japan an Menschen fehle, dass die Bevölkerung regelrecht schwand. Mir schien, dass die Japaner eher Robotern den Vorzug vor Menschen wie uns geben würden, und eine Ausländerin im hohen Rentenalter würde im Kampf gegen die sinkende Geburtenrate kaum von Nutzen sein, aber wie auch immer, vielleicht würde sie als politischer Flüchtling anerkannt werden, wenn sie sich als ehemalige Richterin des Obersten Gerichts, ein Opfer der Revolution, präsentierte. Frau Safureh war immerhin eine kommunikative, sozialisierte Person. Ich stellte sie mir schon im Kimono vor, wie sie neue Freunde empfing in ihrer japanischen Wohnung, zwischen Papier- und Holzwänden und geflochtenen Strohmatten auf dem Boden. «Unser Leben ist eine Tragikomödie, meine Freunde», sagte sie, und es entfuhr ihr ein glückliches Glucksen. «Manchmal ist es eine mitreißende Telenovela, manchmal eine armselige, billige Seifenoper, und wenn es ihnen gelingt, dich zu überraschen, liebt dich jemand da oben offenbar.» Sie blickte mich betreten an, schuldbewusst, dass sie glücklich war. «Verzeih mir, mein Kami», sagte sie und streckte die Hand nach mir aus. Vor lauter Stürmen erscheint einem der Hurrikan nur noch wie ein ganz normaler langweiliger Herbstwind, dachte ich.
Es blieben noch zwei Stunden bis zum Eintreffen des Wagens, der sie wegbringen würde. Wir machten Balkon und Fenster dicht, löschten die letzten Lichter, zogen sogar den Kühlschrankstecker heraus und verließen die Wohnung. Bald würde ein Fremder hier schlafen. Wir stiegen zur endgültig letzten Unterhaltung in die Wohnung hinauf, die unser Club gewesen war, setzten uns um den Computer herum, der den beiden bis vor nicht allzu langer Zeit wie der Anfang der größten Revolution aller Zeiten erschienen war, wie die Botschaft einer sprudelnden, brodelnden Generation, die die Welt einfach auf den Kopf stellen musste. Frau Safureh liebte ihn immer noch, berührte mit einem ihrer mageren Finger den Bildschirm, um zu sehen, wie sich helle Wellen darauf ausbreiteten. Ihre wahre Zuflucht war dieser Bildschirm gewesen. Bis zur allerletzten Minute bat sie Amir und mich, ihr alles vorzulesen, was es zu wissen gab, Japanisch für Anfänger, ein Japanführer. Die Zahl vier symbolisiert den Tod, neun drückt Schmerz aus, es lohnt sich also wirklich nicht, im neunundvierzigsten Stockwerk zu wohnen. Wenn du einschläfst, darfst du den Kopf nicht nach Norden betten, ein nördlich ausgerichteter Kopf ist Leichen vorbehalten. Und die Matratzen sind zu hart, denn die Japaner sind als Menschen bekannt, die das Leiden schätzen. Man sagt, es gibt keine Kriminalität dort. Das heißt, es gibt die grausamen Yakuzakämpfer der Unterwelt, aber keine kleinen Verbrecher, auch eine alte Frau wie sie kann in der Nacht durch die finstersten Straßen gehen. So sagt man. Und ich dachte, wer wird sich um ihr Begräbnis kümmern, wenn sie stirbt, in Japan. Niemand, der sie wirklich liebt.
Wir gingen die Treppen hinunter, passierten die Glastür und standen am Rand des Bürgersteigs, versuchten einen Schlusspunkt zu setzen. Ich fragte: «Haben Sie einen letzten Tipp, den Rat einer alten Frau fürs Leben?»
«Hör auf, alle glücklich machen zu wollen»,
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