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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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Blick war erloschen. Das aufgelöste Haar, der erloschene Blick – bemerkte ich es? Ich erinnere mich nicht. «Die Schminke ist ziemlich japanisch», sagte ich zu ihr und lachte. Sie legte ihre Handflächen schlaff auf meine Hüften und dann auf meinen Hintern. Wir schliefen zusammen, doch im Kopf hörte ich Herrn Nadschafians Gebetskoloraturen wie eine anschwellende Tonspur. Kurze, beschleunigte Atemzüge, ich schnappte nach Luft, ein sonderbares Herzklopfen dröhnte mir im Ohr, ließ meinen Hals schwellen. Ich war müde, doch ich glühte wie Lava. Ich glitt aus ihr hinaus. Sie lag auf dem Rücken, neben mir, starrte an die Decke, in Gedanken versunken. Ich glaube, ich dachte, sie sei friedlich ruhig, denn sie legte die Hände über ihre Brust. Sie redete, aber ich kann nicht rekonstruieren, was sie sagte. Ein milder Lichtstrahl stahl sich durch den Spalt zwischen Werkstatttür und Boden. Ich setzte mich nackt auf den Motorhaubendeckel, betrachtete sie. Ein Ventilator drehte sich, ich ließ den Wind zart über mich pusten. Ich lehnte mich zurück. Seufzte und sagte: «Diese Sache mit Babak bringt mich dazu, mich zu ändern, Nilu.» Ich erinnere mich nicht, was sie antwortete. «Wir sind keine Kinder mehr, Nilu, wir müssen uns darum kümmern, was wirklich wichtig ist.» Ich erinnere mich nicht, was sie sagte. «Dreißigtausend Menschen auf der Welt sterben täglich an Hunger, und ich bin imstande, ab zwei Uhr morgens vor einem Spielzeugladen im Schnee in der Schlange zu warten, um der Erste zu sein, der eine Sony PlayStation 3 kauft, zu einem Preis, der ganze Familien am Leben erhalten würde. Ich muss mich ändern.» Ich brühte Kaffee auf. Ich war befangen. Das Kännchen leerte sich schnell. Sie redete. Stimmte sie mir zu? Sagte sie etwas, das einen Hinweis enthielt? Ich weiß es nicht. Ich bemühe mich, aber es gelingt mir nicht, mich zu erinnern. «Was hättest du lieber, Tschutschu? Flügel oder Wurzeln?», fragte ich lachend und kreiselte wie eine Feder im Raum. Ich erinnere mich nicht an ihre Antwort. «Denn wenn ich Flügel hätte, würde ich wohl wie eine Taube immer den Rückweg zum Nest suchen. Ich hätte keine andere Verwendung für Flügel», sagte ich. Nilu zog sich an. Ein schwarzer Minirock, darüber ein langer schwarzer Mantel. Ein violettes Kopftuch hielt ihr bauschiges Haar zusammen. Ich zog mich ebenfalls an. Auf der Gasse trennten wir uns. Ich erinnere mich nicht an ihre letzten Worte, es macht mich ganz wahnsinnig, wütend, ich verfluche mich selbst, doch ich kann mich nicht erinnern. Sie entfernte sich in ihrem meerblauen Ferrari und ich auf dem Moped. Ende.
    Brennende Balken stürzten von der Decke. Das Feuer hatte alle Ecken des Raums erfasst. Schmolz die Plastikbecher. Ließ das Glas zerbersten. Ich stand auf. Ruhig. Gleichmütig. Ich ging, trat auf die Straße hinaus, schritt mit kühlem Kopf die schattige Baumallee entlang. Ich hörte das gefräßige Knistern des Feuers hinter mir, doch ich blickte mich nicht um. Ich dachte an nichts. Ich stieg auf das Moped. Eine Textnachricht an Amir. «Komm zur Wohnung», schrieb ich. Ich stülpte den Helm auf meinen Kopf. Ballte die Faust um den Gasgriff.
    In der Wohnung packte ich eine Tasche, verabschiedete mich von Zahra. «Wir gehen auf und davon.»
    «Wieso geht ihr auf und davon?»
    «Wir werden Zigeuner.»
    «Wie, Zigeuner? Ihr müsst zur Routine zurückkehren», sagte sie, doch ich wusste, sie verstand.
     
    Als Amir eintraf, gingen wir zum Peykan hinunter. Das Blech glühte, ebenso die Sitze und das Lenkrad. Wir ließen die misstönende Hupe blöken. Der Motor hustete. Eine Bewegung, die Räder drehten sich auf der Stelle, fühlten im Kriechgang vor, und dann brüllte der Motor mit der Gewissheit auf, dass er leben wollte, brach nach vorne aus wie ein Fohlen. Amir navigierte uns zur Schnellstraße, aus der Stadt heraus. Zuerst langsam, dann schneller, und dann rasten wir los und wurden beide in die weißen Lederimitatsitze gepresst. Meine schwarzen Fingerabdrücke von der Nacht mit Babak waren immer noch da. Wir öffneten die knirschenden Fenster, um die dunklen Asphaltwolken zu inhalieren, während wir auf und davon fuhren. Ohne Telefon. Ohne Computer. Nur das alte Radio, das Lieder von Schahiar Ghanbari spielte, und Amir sang, also sang ich auch ein bisschen.
    Der Peykan galoppierte durch Ebenen mit Palmen, Akazien und Wermut. Ich war wie eine Schlange, die ihre Haut abwirft, ließ die verrottete Hülle hinter mir. Dreißig Provinzen.

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