Der geheime Basar
zum anderen und leckte sie auf. Sie war nicht in der Lage, es hochzuheben, nicht einmal, es zu berühren. Sie überlegte sogar, ob es opportun sei, einen Tierarzt mitten in der Nacht zu alarmieren, um ihr zu helfen, hatte dann jedoch das Gefühl, dass es sich verbat, bei diesem Unternehmen Mitwisser zu haben. In ihren Augen stahl sie das Kätzchen. Es rannte ihr nach, und sie rang noch im letzten Augenblick mit sich, ob sie es gegen ein schwarzes Modell austauschen sollte, so ein armseliges, das außer ihr zweifellos niemand lieben würde und das ihr ewig dankbar wäre. Oder ein graues, denn grau war elegant und sogar symbolisch, da ihr Leben weder schwarz noch weiß und erst recht nicht bunt war. Doch dann waren sie zu Hause angelangt, die kleine Kreatur rannte mit zitterndem Schwanz durch die Räume, schmiegte sich an die Wände, setzte überall Duftstempel, imprägnierte jede Ecke, denn sie begriff, hier würde sie wohnen. Sie hatte Durchfall und schiss auf alle Teppiche, weil sie überempfindlich auf Milchprodukte reagierte – woher hätte Zahra das wissen können? Wer hatte je von einer solchen Katze gehört? Sie bejammerte sich selbst. Wieso hatte sie sich in einem spontanen Impuls zu diesem sanitären Fiasko hinreißen lassen? Und Frau Safureh warnte sie: «Katzen hängen überhaupt nicht an Menschen, sie binden sich an Orte.»
«Und wenn sie an einem Ort hängen, besagt das, dass sie sich wohlfühlen?», fragte Zahra.
Für eine ganze Weile versuchte sie, den Kater loszuwerden. Doch er blieb. «Straßenkatzen kommen und gehen», belehrte sie ihn, doch er hatte sie gewählt. Da ihm der Ort so wichtig und schon gewohnt war, hatte sie gute Lust, ihn in einen Karton zu stecken und an einem völlig anderen Ort auszusetzen, weit weg, in der Wüste zum Beispiel. Der Karton würde sich öffnen, und Chamad würde entdecken, dass er den Wohnort gewechselt hatte, ohne Vorwarnung, ohne jede Wahl. Und es würde ihm klar sein, dass sie ganz allein sein Schicksal bestimmte. Zahra verstand nicht, weshalb sie ein so starkes Bedürfnis hatte, ihn kämpfen zu sehen, jaulen zu hören. Bis sie zu guter Letzt entdeckte, dass sie ihn wie einen Freund behandelte. Oder wie einen Adoptivsohn, entführt, aber geliebt. Und sie fürchtete, ihn zu verlieren, denn vor ihm hatte sie keiner Kreatur jemals wirkliche Aufmerksamkeit gewidmet, und daher war es seltsam für sie zu entdecken, dass es Dinge auf der Welt gab, die so verschieden von ihr und ihr gleichzeitig so ähnlich waren. Sie wollte mit ihm kuscheln, mit den Fingern in sein weiches Fell piksen, doch Chamad war ein unabhängiger Kater. Sie schrie ihn immer an, wenn er nicht langsam anfinge, mit ihr zu schmusen, würde sie aufhören, als sein Futterautomat zu dienen, und dann solle er mal sehen, wie er in den Mülltonnen herumsuchte. «Ich habe dich ausgewählt, du Dummkopf! Ich habe dich gerettet! Undankbarer Hund!»
Sie liebte es, ihm zuzusehen, wie er seinen pelzigen Bauch auf dem Schaukelstuhl platzierte und die beiden Vorderbeine herunterbaumeln ließ. Schläfrig kniff er die Augen zu Schlitzen zusammen und hielt sich für wichtig. Sie liebte es auch, ihn beim Fressen zu beobachten, wenn er bei jedem Bissen die Augen verengte und sie schloss, um zu schlucken. Sein Kopf schaukelte wie der Hals eines Kamels. Und wenn er seinen ganzen Körper nach oben streckte, sich in Form eines Kaffeetisches ausrichtete, wenn sich sein ganzes Fell sträubte und er sich den Hintern leckte, dann schien ihr, als sei er ein Mensch. Sie wiederum lernte, zu lachen, wenn er gähnte. Und so zu tun, als habe sie Angst, wenn ihm hin und wieder ein raubgieriges Knurren glückte. Sein Gesicht drückte alle Arten von Unzufriedenheit und Ärger aus, aber er besaß nicht die Fähigkeit zu lächeln, nicht einmal ein trauriges Lächeln.
Manchmal jagte der Kater sie. Eines Morgens, als sie die Küche betrat, um Tee aufzubrühen, sah sie, wie er sie mit durchdringendem, kritisierendem Blick musterte. Sie hielt für eine Schrecksekunde inne, da sie meinte, dem Kater sei aufgefallen, dass sie die gleiche Bluse wie am Vortag trug. Nachdem sie diesen peinlichen Augenblick verdaut hatte, begriff sie, dass sie trotz allem zu viel allein war.
11
Auf dem Rückweg von der Universität kaufte ich eine gebrauchte Batterie für den Peykan. Das ganze Land hatte sich in den Häusern verschanzt – wie immer, wenn eine neue Comedy-Serie von Mehran Modiri angesagt war –, und die Straßen waren wie leergefegt. Zahra
Weitere Kostenlose Bücher