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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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der Mörder und die Aushebelung der ruchlosen Organisation an die Spitze der Handlungsprioritäten gestellt. Mit Unterstützung des speziellen Ermittlungsteams, das der Präsident ernannt hat, ist es dem Ministerium gelungen, die für die Morde verantwortliche Gruppe zu identifizieren, sie zu verhaften und zur weiteren Verfügung der Justiz zu überstellen. Zum größten Bedauern handelt es sich um eine irregeleitete extremistische Gruppierung innerhalb des Ministeriums selbst, die, zweifellos unter dem Einfluss schurkischer ausländischer Geheimagenten, das Verbrechen begangen hat.»
    Das Volk verlangte Einzelheiten. War die Sache vielleicht noch größer, als es schien? Vielleicht so groß, dass jeder x-beliebige Tod, ein ganzes Jahrzehnt von Toden, viel mehr war, als es schien? Was war zum Beispiel mit den Dichtern im Sommer 1995? Sie waren im Bus auf dem Weg zu einem Lyrikertreffen in Armenien, einundzwanzig Intellektuelle. Um zwei Uhr nachts, als der Großteil von ihnen schlief, steuerte das Fahrzeug auf einen Abgrund zu, der Fahrer sprang heraus. Einer der Dichter griff ins Lenkrad und rettete dadurch die Gruppe in allerletzter Sekunde. Der Fahrer kehrte zurück und versuchte erneut, den Bus von der Straße abkommen zu lassen, fuhr jedoch auf einen Felsen auf und flüchtete zu Fuß. Stand auch dieser Fall damit in Zusammenhang?
    Die Regierung legte nach: Said Emami, ein Regierungsangestellter, stellvertretender Leiter des Informations- und Sicherheitsministeriums, sei der Kopf der extremistischen Splittergruppe gewesen. Nach seiner Verhaftung habe er jedoch im Gefängnis eine Flasche Enthaarungsmittel geschluckt und auf die Weise Selbstmord begangen. Die Affäre habe damit ihr Ende gefunden.
    Die Surferin Lulu: «Von Haarentfernungsmittel kann man unmöglich sterben, glaubt mir.»
    Der Surfer Naim: «Und wie kommt es, dass es kein Grab gibt? Sie haben gesagt, dass der entartete Beamte in Teheran begraben würde, aber ich habe selber auf den Friedhöfen gesucht und kein Grab gefunden, nichts. Und falls Emami überhaupt existiert haben sollte und verschwunden ist, woher weiß man, dass er nicht einfach ermordet wurde, um Veröffentlichungen zu verhindern, die die Regierung noch viel mehr in Verlegenheit gebracht hätten?»
    Ein ermittelndes Journalistenduo, Emad ed-Din Baqi und Akbar Gandji, weigerte sich, die Sache fallenzulassen. Sie bohrten weiter nach und veröffentlichten Artikel, die andeuteten, dass die Verbindung bis in die oberste Spitze der Regierung reichte. Sie skizzierten eine geheime Verschwörung, gaben Beamten und Führern geheimnisvolle Codenamen. Eine Welle von Spekulationen rollte durchs ganze Land, bis der Journalist Gandji Anfang 2000 ganz unverhohlen erklärte, dass die Schlüsselperson hinter den Kettenmorden der ehemalige Informations- und Sicherheitsminister höchstpersönlich, Hodschat al-Islam Ali Falahian, sei, und die Namen der religiösen Autoritäten bekannt gab, die die Fatwas zur rechtsgültigen Absegnung der Morde geliefert hatten. In Reaktion darauf wurde Gandji verhaftet, als er von einem Kongress in Berlin zurückkehrte; er wurde der Verbreitung anti-islamischer Propaganda beschuldigt sowie der Beleidigung des verblichenen geistigen Oberhaupts, Ajatollah Chomeini. Er wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Im März erhielt Said Hajjarian, der Verleger der Zeitung, die am aktivsten Recherchen angestellt hatte, eine Kugel in den Kopf. Er blieb gelähmt. Seine Frau stand an seinem Bett, in einen Tschador gehüllt, eine dicke, braune Brille umrahmte hart ihre großen Augen. Sie waren einmal jung und wild gewesen. Anti-westliche Muslime. Sie waren unter den Studenten, die damals die Botschaft der Vereinigten Staaten stürmten, die Geiseln über ein Jahr festhielten, die Auslieferung des korrupten Schahs forderten. Danach integrierten sie sich im Establishment, später wurden sie gemäßigt, jetzt waren sie gelähmt.
    Die Akte der Kettenmorde war noch nicht geschlossen. Als das Jahr 2002 kam, wurden drei Agenten des Nachrichtendienstes zum Tode verurteilt, zwölf weitere erhielten Haftstrafen. Die Mörder wurden zu zehn Jahren verurteilt. Zwei Jahre darauf hob das Oberste Gericht die Todesurteile für zwei der Schuldigen auf, die Familien der Opfer hätten ihnen verziehen – wie die Nachrichtenagentur Irna berichtete. Vergeben und vergessen.
    Der Frühling der Pressefreiheit blühte nur vier Jahre. Im Jahr 2001 war er endgültig vorbei. Dutzende Zeitungen wurden geschlossen,

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