Der geheime Basar

weiter sein.»
    «Sie sind voller Geschichten, Frau Safureh», lächelte Nilu.
    «Ich war Oberste Richterin», verkündete die alte Frau umgehend.
    Um acht Uhr war dröhnendes Geknatter auf der Straße zu hören, und Schneckes Motorrad kam mit einem letzten Aufheulen unter erstickten Knalls zum Stehen. Er kam mit repräsentativer Ausgehuniform in Schwarz, einem weißen Unterhemd, das herauslugte, und roten Schulterklappen. Von Kopf bis Fuß gestriegelt. Er reichte Babak die Hand, nicht einmal eine freundschaftliche Umarmung oder ein brüderliches Schulterklopfen. Nur ein Händedruck. Wir waren überrascht, besonders von seiner Aufmachung, aber Zahra erhob sich schnell, begrüßte ihn liebenswürdig und fragte, ob es ihn störe, dass die Frauen nicht verhüllt sind, denn es wäre kein Problem für sie, einen Schal überzuwerfen, wenn er es wünsche. Er antwortete höflich: «Nein, danke, machen Sie sich keine Umstände, das ist Ihr Haus, Frau Chazuri, ich bedanke mich für die Gastfreundschaft.» Frau Safureh salutierte und sagte zu ihm: «Willkommen, Cowboy.» Er verstand zwar ihren Humor nicht, doch er nickte, aufrecht und gehorsam wie der Rekrut einer Eliteeinheit, der eine Anweisung vom Kommandanten entgegennimmt. «Ich habe dem Staat das meine gegeben, mehr als genug», erklärte die alte Frau an ihn gewandt mit Nachdruck, um jede Missachtung auszuschließen. «Ich war einer der Grundpfeiler des Justizsystems, aber wie Sie bemerkt haben dürften, hat die Belastung durch diese Aufgabe mein Gesicht und meinen Körper in Mitleidenschaft gezogen, weshalb ich beschlossen habe, mich in meine stille Wohnung zurückzuziehen.»
    Ich betrachtete Schnecke, der das Gehörte zu verstehen versuchte. Ich wusste nicht, ob er begriff, dass man ihr kaum Glauben schenken konnte, und fragte mich, was er über uns dachte und wie er überhaupt zu interpretieren war. Es beschäftigte mich, denn es war nicht klar, wohin er gehörte: Konservativer, Spieler oder Sexbesessener, gewalttätig oder sensibel, er hatte keine eindeutigen Charakteristika und vereinte alle besorgniserregenden Typen der Welt in sich, und dennoch wirkte er demütig und ruhig, wollte uns nahe sein.
    Zahra teilte eine dickflüssige Graupensuppe mit Reis, Bohnen und gehackten Kräutern aus, streute geriebenen Käse und goldbraune Zwiebelringe über jede Schale und servierte sie den Gästen. Nilu hielt fest meine Hand, vergewisserte sich, dass alle zuhörten, und sagte dann: «Wirklich jammerschade, dass es uns nicht vergönnt war, in den siebziger Jahren zu leben.» Sie wusste, dass Unterhaltungen über die Siebziger die Rettung für jedes peinliche Schweigen waren. Und auch Klagelitaneien waren eine Lösung – warum die Banken am Nachmittag nicht geöffnet hatten, warum die Briefe bei der Post verschwanden, warum die Konservativen das Fernsehen beherrschten, das Fernsehen war todlangweilig –, alle liebten es, sich zu beschweren. Da waren wir, eine Bande unglücklicher Sittenverbrecher, und obwohl wir nicht unterschiedlicher hätten sein können, waren wir dennoch, hinter den geschlossenen Fensterläden, alle vereint. Und jeder von uns vertraute sein verbrecherisches Geheimnis den Händen einer oder mehrerer Personen an, die er nicht kannte, und jeden von uns konnte man ganz leicht verraten, und dennoch machten wir uns einen überwältigend schönen Abend, gegen Misstrauen und Fanatismus gefeit, ein Bund der Bedrückten und Triebgesteuerten mit der unbezähmbaren Leidenschaft, das Schicksal zu beherrschen. Schwach und kühn, so dachte ich gerne von uns. Doch ich erinnerte mich, dass der verblichene Herr Ali Samimi vom Wassermelonenstand immer zu sagen pflegte: «Ein Mensch muss jemanden verraten, jemanden enttäuschen und bitter enttäuscht werden, erst dann wird er ein echter Bürger der Republik sein.»
    Nilufar wandte sich an Schnecke: «Ein Fahrzeugelektriker könnte gerade die Rettung für uns sein.»
    «Aber gerne, wie kann ich helfen?», fragte er. Und Babak war stolz.
    «Haben sie dir schon von dem roten Peykan erzählt? Wir versuchen, Zahras Wagen wiederzubeleben, und du wirst es kaum glauben, wir bauen auch ein Rennauto für die Nationalmeisterschaft, 1800 Kubik.»
    «Aber wie willst du denn bei diesem Rennen antreten? Das ist doch nur für Männer.»
    «Ich werde darum kämpfen!»
    «Sie werden dich nie lassen», stellte er ungerührt fest.
    Frau Safureh verengte die Augen. «Sagen Sie mir, junger Mann, wer sind Sie eigentlich?», fragte sie in ihrem