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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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nett von ihm, nicht wahr?«
    »Martha«, sagte Mary feierlich, »er ist wirklich ein lieber Mann; sein Gesicht ist nur traurig, und seine Stirn ist voller Falten.«
    Mary lief so schnell sie konnte in den Garten. Sie war viel länger weggeblieben, als sie gedacht hatte, und sie wußte, daß Dickon seinen fünf Meilen weiten Heimweg rechtzeitig antreten mußte. Sie schaute sich um, aber kein Dickon war zu sehen. Der geheime Garten war leer — nur das Rotkehlchen war noch da, es kam gerade über die Mauer geflogen, setzte sich auf einen Rosenbusch und beobachtete sie.
    Irgend etwas Weißes, das an diesem Rosenbusch hing, fesselte Marys Aufmerksamkeit. Es war ein Stück Papier. Tatsächlich, es war ein Stück des Briefes, den sie mit Martha zusammen an Dickon geschrieben hatte. Es war an einem langen Dorn aufgespießt. Gleich wußte Mary, daß Dickon eine Botschaft für sie zurückgelassen hatte. Ein paar kleine, unbeholfene Druckbuchstaben waren darauf und eine Zeichnung. Zuerst wußte sie nicht, was es bedeuten sollte. Dann merkte sie, daß ein Nest gezeichnet war, auf dem ein Vogel saß. Darunter waren Buchstaben geschrieben. Mary las: »Ich kumme widder.«

Ich bin Colin
    Mary nahm das Bildchen mit, als sie zum Abendbrot nach Hause ging. Sie zeigte es Martha.
    »Aha«, sagte Martha mit großem Stolz. »Ich habe nicht gewußt, daß unser Dickon das kann. Das ist eine Drossel auf einem Nest, nicht so groß wie in Wirklichkeit, aber sehr natürlich.«
    Da erst merkte Mary, daß er ihr durch das Bild eine Botschaft geschickt hatte. Er wollte ihr versichern, daß er ihr Geheimnis hüten werde. Oh, wie liebte sie diesen eigenartigen Jungen. Sie hoffte, daß er am nächsten Tag wiederkommen würde, und schlief voll Erwartung auf den morgigen Tag ein. Aber man weiß in Yorkshire nie, was das Wetter vorhat, besonders im Frühjahr. In der Nacht wurde sie von schweren Regentropfen, die gegen das Fenster schlugen, geweckt. Es goß in Strömen, und der Wind rauschte um die Ecken und in den Kaminen des großen alten Hauses. Mary setzte sich im Bett auf. Sie fühlte sich elend und ärgerte sich über das regnerische Wetter.
    »Der Regen ist so töricht und trotzig, wie ich es früher war«, sagte sie zu sich selbst. »Er ist gekommen, bloß weil er wußte, daß ich ihn nicht wollte!«
    Sie warf sich zurück und begrub ihr Gesicht in den Kissen. Sie weinte nicht, aber sie lag da und verabscheute das Geräusch, das der schwer klatschende Regen verursachte, und haßte den Wind und sein Heulen. Sie konnte nicht wieder einschlafen. Der klagende Ton hielt sie wach, weil sie selber traurig war. Es klingt, als ob ein Mensch sich im Moor verirrt hätte und umherwanderte und klagte, dachte sie.
    Sie hatte eine Stunde wach gelegen und sich von einer Seite auf die andere geworfen, als plötzlich etwas geschah, das sie im Bett hochfahren ließ. Sie drehte jäh den Kopf zur Tür und lauschte.
    »Das ist nicht der Wind«, flüsterte sie vor sich hin. »Das ist nicht der Wind! Es ist das Schreien, das ich schon einmal gehört habe.«
    Die Tür ihres Zimmers war aufgesprungen. Durch den Korridor kam von weit her ein ängstliches Weinen. Sie horchte. Von Minute zu Minute wurde sie sicherer. Sie mußte unbedingt herausfinden, was es war. Dies war ja noch seltsamer als der geheime Garten und der vergrabene Schlüssel. Jetzt wurde Mary tollkühn. Sie steckte ihre Füße aus dem Bett und sprang auf den Fußboden.
    »Ich werde nachsehen«, sagte sie. »Alle Menschen sind im Bett. Ich fürchte mich überhaupt nicht vor Mrs. Medlock!«
    Auf ihrem Nachttisch stand eine Kerze. Sie zündete sie an und trug sie behutsam aus dem Zimmer. Der Korridor war lang und düster, aber sie war viel zu aufgeregt, um es überhaupt zu bemerken. Sie glaubte sich an die Ecke zu erinnern, um die sie gehen mußte, damit sie die Tapetentür fand, durch die Mrs. Medlock damals gekommen war. Von jenem Flur her war das Weinen gekommen. So schritt sie mit ihrem trüben Licht weiter. Sie tastete sich an den Wänden entlang. Ihr Herz schlug überlaut. Immer noch vernahm sie das Weinen. Es wies ihr den Weg. Manchmal setzte es für eine Weile aus, aber gleich begann es wieder. War dies die Ecke, wo sie abbiegen mußte? Sie blieb stehen und dachte nach. Ja, hier konnte es sein. Dieser Flur noch, danach zwei breite Stufen hinauf und dann rechts ab. Richtig, da war die Tapetentür!
    Sie öffnete sie langsam und Schloß sie wieder hinter sich. Nun stand sie in einem anderen Korridor und

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