Der geheime Garten
sie doch so viel miteinander geplaudert hatten. Darüber mußten sie nun wieder lachen, weil sie nun einmal in der Stimmung waren. Mitten in diesem Gelächter öffnete sich die Tür, und herein kamen Doktor Craven und Mrs. Medlock.
Doktor Craven erschrak, und Mrs. Medlock fiel fast um, weil der Doktor vor Schreck einen Schritt zurücktrat und dabei aus Versehen gegen sie stieß.
»Guter Gott!« rief Mrs. Medlock, und die Augen fielen ihr fast aus dem Kopf. »Guter Gott!«
»Was soll das bedeuten?« fragte Doktor Craven und kam einen Schritt näher. »Was ist das?«
In diesem Augenblick wurde Mary wieder an den jungen Rayah erinnert. Colin anwortete, als wäre weder das Entsetzen des Doktors noch der Schreck der Hausdame von irgendwelcher Bedeutung. Er machte sich so wenig daraus, als ob eine etwas ältliche Katze und ein Hund ins Zimmer gekommen wären: »Das ist meine Cousine, Miß Lennox«, sagte er. »Ich habe sie gebeten zu mir zu kommen und mich zu unterhalten. Ich habe sie sehr gern. Sie muß immer zu mir kommen, wenn ich nach ihr schicke.«
Doktor Craven wandte sich vorwurfsvoll an Mrs. Medlock.
»Ach, Sir«, keuchte sie. »Ich kann mir nicht erklären, wie das geschehen konnte. Im ganzen Haus ist kein Dienstbote, der zu reden wagte — sie haben alle ihre Befehle.«
»Niemand hat ihr etwas gesagt«, entgegnete Colin. »Sie hat mich schreien hören und hat mich selber gefunden. Ich bin froh darüber, seien Sie nicht albern, Mrs. Medlock.«
Mary sah, daß Doktor Craven nicht einverstanden war, aber offensichtlich wagte er nicht, seinem Patienten zu widersprechen. Er setzte sich neben Colin und fühlte seinen Puls.
»Ich fürchte, daß es zu aufregend war für dich. Aufregung kannst du nicht vertragen, mein Junge«, sagte er.
»Ich würde mich aufregen, wenn sie nicht wiederkäme«, antwortete Colin. Seine Augen begannen gefährlich zu funkeln; »die Schwester soll den Tee bringen. Wir wollen zusammen Tee trinken.«
Mrs. Medlock und Dr. Craven schauten einander betroffen an, aber sie konnten offensichtlich nichts dagegen tun.
»Er sieht eigentlich besser aus«, wagte Mrs. Medlock zu sagen »aber — wenn ich es recht bedenke, heute morgen sah er noch besser aus, ehe sie in sein Zimmer kam.«
»Sie ist in der vergangenen Nacht in mein Zimmer gekommen. Sie ist lange hier geblieben. Sie hat ein hindustanisches Lied gesungen, und dann bin ich eingeschlafen. Als ich aufwachte, fühlte ich mich besser. Ich hatte Appetit auf mein Frühstück. Jetzt möchte ich den Tee. Sagen Sie's der Schwester, Mrs. Medlock.«
Doktor Craven blieb nicht lange. Er sprach eine Weile mit der Krankenschwester und richtete ein paar warnende Worte an Colin. Er dürfe nicht zu viel reden, er dürfe nicht vergessen, daß er krank sei und leicht ermüde. Colin schaute ärgerlich auf und richtete seine seltsamen, dunkelbewimperten Augen fest auf Doktor Craven.
»Ich will es aber vergessen«, sagte er. »Sie sorgt dafür, daß ich es vergesse. Das ist der Grund, weshalb ich sie bei mir haben will.«
Doktor Craven sah nicht eben glücklich aus, als er das Zimmer verließ. Er schaute verstört auf das kleine Mädchen, das auf der Fußbank saß. Mary war, als er hereinkam, wieder steif und trotzig geworden, und er konnte nicht verstehen, was Colin an ihr so anziehend fand. Der Junge sah jedoch entschieden besser aus. Doktor Craven seufzte tief, als er den Korridor entlangging.
»Immer, wenn ich keinen Appetit habe, wollen sie, daß ich irgend etwas esse«, sagte Colin, als die Schwester den Tee brachte und das Tablett auf den Tisch neben dem Sofa stellte.
»Wenn du essen willst, Mary, dann will ich es auch. Diese Kuchen sehen gut und knusprig aus. Erzähle mir mehr von den Rayahs.«
Ein Nest wird gebaut
Nach einer regnerischen Woche kam der hohe blaue Himmelsbogen wieder zum Vorschein, und die Sonne schien warm auf die Erde. Obwohl Mary in den vergangenen Tagen keine Gelegenheit gehabt hatte, den geheimen Garten und Dickon zu sehen, hatte sie sich sehr gut unterhalten. Die Woche war ihr nicht lang vorgekommen. Sie hatte jeden Tag ein paar Stunden mit Colin im Zimmer verbracht, wo sie über Rayahs, Gärten und Dickon und über die Moorhütte gesprochen hatten. Sie hatten die wundervollen Bücher und Bilder angeschaut, manchmal hatte er ihr etwas vorgelesen. Wenn er lustig und angeregt war, dachte sie, sehe er überhaupt nicht krank aus. Nur sein Gesicht war so farblos, und er saß immer auf dem Sofa.
»Du bist mir eine Heimliche,
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