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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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herüberwehte.
    Martha wartete im Zimmer auf Mary. Die Unruhe in ihrem Gesicht war inzwischen von Interesse und Neugier verdrängt worden. Eine kleine Kiste stand auf dem Tisch. Der Deckel war schon abgehoben. Drinnen sah man kleine hübsche Päckchen.
    »Mr. Craven hat sie dir geschickt«, sagte Martha. »Es sieht nach Bilderbüchern aus.«
    Mary erinnerte sich, wonach er sie in seinem Zimmer gefragt hatte. »Wünscht du dir irgend etwas? Puppen — Spielzeug — Bücher?« Sie öffnete das Päckchen, neugierig, ob er ihr vielleicht eine Puppe geschickt hatte, mit der sie — so dachte sie — nichts anzufangen wußte. Aber er hatte keine Puppe geschickt. Mehrere schöne Bücher von der Art, wie Colin sie besaß, lagen in dem Paket. Zwei davon handelten von Gärten und waren voll von Bildern. Dann waren da noch zwei oder drei Spiele, eine schöne Schreibmappe mit einem goldenen Monogramm darauf, ein goldener Federhalter und ein Tintenfaß.
    Alles war so hübsch, daß die Freude darüber langsam ihren Ärger vertrieb. Sie hatte nicht erwartet, daß Mr. Craven sich überhaupt an sie erinnern würde, und ihr hartes kleines Herz wurde warm.
    »Ich kann besser schreiben als Druckbuchstaben malen. Das erste, was ich mit der Feder schreibe, wird ein Dankbrief an Mr. Craven sein. Ich werde ihm sagen, wie sehr ich mich freue.«
    Wäre sie noch mit Colin befreundet gewesen, sie würde sofort zu ihm gelaufen sein, um ihm ihre Geschenke zu zeigen. Sie hätten zusammen die Bücher über die Gärten gelesen und vielleicht ein wenig gespielt. Es hätte ihm sicher Freude gemacht, und er hätte vergessen, ans Sterben zu denken oder in seinem schwachen Rücken nach einem Buckel zu suchen. Gerade dies tat er jeweils auf eine Art, die sie nicht ertragen konnte. Ihr wurde dann immer ganz bange, weil er selbst so angstvoll aussah. Er hatte gesagt, an dem Tag, an dem er nur ein kleines Knötchen finden würde, hätte er Gewißheit, daß daraus ein Buckel entstünde. Irgend etwas, das Mrs. Medlock der Krankenschwester zugeflüstert hatte, mußte ihn auf diese Wahnidee gebracht haben. Er hatte heimlich so lange darüber nachgegrübelt, bis der Gedanke sich als fixe Idee in seinem Kopf festgesetzt hatte. Colin hatte nur Mary anvertraut, daß seine Anfälle, wie sie es nannten, durch diese geheime Furcht ausgelöst wurden. Mary hatte Mitleid gehabt mit ihm, als er es ihr erzählte.
    »Immer fängt er an, darüber nachzudenken, wenn er ärgerlich oder müde ist«, sagte sie zu sich selbst. »Heute ist er ärgerlich. Vielleicht — vielleicht muß er nun den ganzen Abend darüber nachdenken.« Sie stand ganz still, schaute auf den Teppich und grübelte weiter.
    »Ich habe ihm gesagt, daß ich nie wieder komme«, überlegte sie zögernd und zog ihre Augenbrauen zusammen, »aber vielleicht — nun vielleicht — gehe ich morgen vormittag zu ihm, natürlich nur, wenn er will. Am Ende wirft er wieder mit dem Kissen nach mir, aber — ich denke doch — ich werde hingehen.«

Der Anfall
    Sie war am Morgen früh aufgestanden, hatte tüchtig im Garten gearbeitet und fühlte sich jetzt müde und schläfrig. Nach dem Abendbrot war sie daher froh, ins Bett gehen zu können. Als sie ihren Kopf auf das Kissen legte, murmelte sie:
    »Ich werde vor dem Frühstück mit Dickon im Garten arbeiten und hinterher — glaube ich — Colin besuchen.«
    Es mußte nach Mitternacht sein, als sie plötzlich von grauenhaften Tönen aufgeschreckt wurde. Was war das? Was war das? Im nächsten Augenblick wußte sie es. Türen wurden geöffnet und wieder zugeschlagen, jemand weinte, wimmerte und schrie gleichzeitig auf entsetzliche Weise.
    »Colin«, flüsterte sie. »Er hat einen seiner Anfälle, die die Schwester Hysterie nennt. Wie grausig das klingt!«
    Während sie dem Stöhnen lauschte, wurde ihr klar, weshalb die Menschen, die dies anhören mußten, Colin seinen Willen ließen. Nur damit sie Ruhe hatten. Sie preßte die Hände auf die Ohren. Sie fühlte sich richtig krank und zitterte.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich kann es nicht ertragen!«
    Sie überlegte, ob er wohl aufhören würde, wenn sie es wagte, zu ihm zu gehen. Sie erinnerte sich, daß er sie aus dem Zimmer gewiesen hatte. Vielleicht würde ihr Erscheinen die Sache noch schlimmer machen. Selbst als sie ihre Hände noch fester auf die Ohren preßte, konnte sie die schrecklichen Töne hören. Sie regten sie derart auf, daß sie schließlich wütend wurde und das

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