Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
Vom Netzwerk:
sie lachen
    Dickon arbeitete nicht nur in dem geheimen Garten. Um die Hütte im Moor lag ein kleines Stück Land, das mit einer Mauer von rohen Natursteinen eingefaßt war. Am frühen Morgen und noch spät nach Sonnenuntergang und an all den Tagen, da Mary und Colin ihn nicht sahen, arbeitete Dickon in diesem Garten. Er pflanzte und pflegte Beete mit Kartoffeln und Kohl, Gurken, Möhren und Kräutern. Er tat es für seine Mutter. Begleitet von seinen Tieren, wirkte er hier als kleiner Gärtner wahre Wunder. Während er grub und jätete, pfiff er alte Volkslieder aus Yorkshire und schwatzte mit Ruß oder Kapitän oder mit seinen kleinen Brüdern und Schwestern, die ihm bisweilen bei der Arbeit halfen.

    »Wir würden niemals so gut zurechtkommen«, sagte Mrs. Sowerby, »wenn wir nicht Dickons Garten hätten. Bei ihm wächst alles in Fülle. Seine Kartoffeln und seine Kohlköpfe sind zweimal so groß wie die anderer Leute. Und sie schmecken viel besser!«
    Sooft sie ein wenig Zeit übrig hatte, ging sie zu ihm hinaus und plauderte mit ihm. Nach dem Abendbrot im Dämmerlicht war es am schönsten. Sie saß dann gern auf der niedrigen Steinmauer, schaute ihm zu und hörte sich an, was Dickon über den verflossenen Tag zu erzählen wußte. Diese Stunde liebte sie. Im Garten wuchs aber nicht nur Gemüse. Dickon kaufte gelegentlich auch kleine Tütchen mit Blumensamen und säte ihren Inhalt zwischen die Stachelbeersträucher und sogar zwischen die Kohlköpfe. Er bepflanzte die Beetränder mit Reseda, Nelken und Stiefmütterchen. Er ließ ihre Früchte reifen und bewahrte die Samen auf. Jahr für Jahr verwahrte er Wurzeln und Knollen.
    »Man muß die Pflanzen lieben, Mutter, damit sie gedeihen. Das ist das einzige, was man für sie tun kann. Sie sind wie die Tiere. Wenn sie durstig sind, muß man ihnen zu trinken geben. Wenn sie hungrig sind, brauchen sie Nahrung. Sie wollen leben, genau wie wir auch. Wenn sie sterben würden, hätte ich das Gefühl, ein schlechter Mensch gewesen zu sein.«
    In diesen Dämmerstunden erfuhr Frau Sowerby, was sich im Herrenhaus Misselthwaite zugetragen hatte. Als erstes hörte sie, daß Master Colin plötzlich eine Vorliebe für Spaziergänge mit Mary hatte und daß ihm das Leben im Freien gut bekam. Die Kinder hatten beschlossen, daß Dickons Mutter ihr Geheimnis erfahren dürfe. Daher erzählte Dickon seiner Mutter die ganze Geschichte mit all ihren aufregenden Ereignissen. Er schilderte, wie Mary den Schlüssel gefunden hatte; er sprach von dem Rotkehlchen und dem wintertoten Gesträuch. Er erzählte von Colins Mißtrauen, und wie sie ihn schließlich besiegt und in den Garten geführt hatten; er schilderte, wie plötzlich Ben Weatherstaffs ärgerliches Gesicht über der Mauer erschienen war. Die Geschichte von Master Colin, der über Nacht zu Kräften kam und auf den Füßen stand, erregte Frau Sowerby so sehr, daß ihr sanftes Gesicht abwechselnd bleich und wieder rot wurde.
    »Bei Gott«, sagte sie, »es war ein Glück, daß das kleine Mädchen nach Misselthwaite kam! Es hat ihn gerettet. Er steht auf seinen eigenen Füßen! Und wir alle dachten, er sei ein schwachsinniger Junge, der keinen heilen Knochen hatte.« Sie stellte noch viele Fragen. Ihre blauen Augen blickten nachdenklich.
    »Was sagt man im Herrenhaus dazu, wenn er sich wohlfühlt und nicht mehr klagt?« fragte sie.
    »Sie wissen nicht, was sie denken sollen«, antwortete Dickon.
    »Sein Gesicht verändert sich mit jedem Tag. Es ist runder geworden, es ist nicht mehr so spitz wie vorher und es ist auch nicht mehr so wächsern. Aber er gibt sich alle Mühe, sein ewiges Jammern unverändert durchzuhalten.«
    »Wieso?« fragte Mrs. Sowerby.
    Dickon kicherte.
    »Damit sie nicht erraten, was inzwischen geschehen ist. Wenn der Doktor herausfände, daß Colin wirklich stehen kann, würde er es wahrscheinlich Mr. Craven schreiben. Colin möchte sein Geheimnis aber selber offenbaren. Er trainiert seine Beine jeden Tag, bis sein Vater heimkommt. Er will dann in das Zimmer von Mr. Craven gehen und zeigen, daß er so gerade gewachsen ist wie jeder andere Junge. Drum glauben er und Mary, daß es am besten ist, hin und wieder ein bißchen zu stöhnen, um die Leute an der Nase herumzuführen. Aber das ist nicht alles. Colin läßt sich immer in seinen Rollstuhl tragen. Dabei ermahnt er den Diener, sorgfältig mit ihm umzugehen. Er sieht möglichst hilflos aus und tut, als könne er nicht einmal den Kopf heben. Erst wenn wir außer Sicht

Weitere Kostenlose Bücher