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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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geholfen, aufrecht zu stehen, und ich weiß, daß ich nicht sterben muß, sondern ein Mann werde. Ich werde versuchen, ein wenig von dem Zauber in meinen Körper aufzunehmen. Dort soll er schieben und ziehen und mich stark machen. Ich weiß zwar nicht, wie ich das anstellen soll, aber ich glaube, wenn ihr alle immer daran denkt und den Zauber durch die Kraft eurer Gedanken herbeiruft, wird es vielleicht gehen. Damals, als ich zum erstenmal versucht habe, auf meinen eigenen Füßen zu stehen, hat Mary immer wieder zu sich selbst gesagt: >Du schaffst es, du schaffst es!<, und ich habe es geschafft. Ich selbst mußte mich natürlich gewaltig anstrengen, aber ihr Zauber hat mir dabei geholfen, ebenso wie Dickons Zauber. Jeden Morgen und jeden Abend und sooft es mir tagsüber in den Sinn kommt, sage ich zu mir selbst: >Der Zauber ist in mir. Der Zauber macht mich gesund. Ich werde genauso stark sein wie Dickon, ganz genauso!< Und das müßt ihr auch alle tun. Darin besteht mein Experiment. Wirst du mir helfen, Ben Weatherstaff?«
    »Jawohl, Sir!« antwortete Ben Weatherstaff, »ganz bestimmt«. »Wenn ihr das tagtäglich so regelmäßig tut, wie die Soldaten exerzieren, dann werden wir bald sehen, was dabei herauskommt, und wir werden herausfinden, ob unser Experiment glückt. Man kann Dinge lernen, indem man sie sich immer und immer wieder laut vorsagt und darüber nachdenkt, bis sie einem schließlich in Fleisch und Blut übergehen, und ich glaube, mit der Zauberei verhält es sich nicht anders. Wenn ihr nicht aufhört, unseren Zauber zu beschwören und ihn um Hilfe zu bitten, wird er ein Teil von euch, und er wird bei euch bleiben und seine Wirkung tun.«
    »Ich habe einmal gehört, wie ein Offizier in Indien meiner Mutter erzählte, manche Fakire sprächen immerfort die gleichen Worte, tausend und aber tausendmal hintereinander«, sagte Mary.
    Dickon hatte dem Vortrag stehend gelauscht. Seine runden Augen hatten vor Freude geglänzt. Nuß und Schale saßen auf seinen Schultern. Er hielt ein langohriges weißes Kaninchen im Arm, das er die ganze Zeit über zärtlich streichelte. Das Kaninchen legte die Ohren an und genoß diese Behandlung sehr.
    »Glaubst du, daß unser Experiment klappt?« fragte Colin den Jungen. Colin fragte sich oft, was Dickon wohl denken mochte, während er ihn selbst oder eines seiner Tiere versonnen lächelnd anschaute. Dickon lächelte auch jetzt, und zwar noch breiter als gewöhnlich. »Ja«, gab er zur Antwort, »ich glaube schon. Das ist dasselbe wie mit den Samenkörnern, wenn die Sonne auf sie fällt. Es funktioniert ganz sicher. Sollen wir jetzt anfangen?«
    Colin strahlte, und auch Mary freute sich. Angeregt durch das, was er über Fakire und andere Magier in Büchern gefunden hatte, schlug Colin vor, sie könnten sich alle im Schneidersitz unter den Baum setzen, der über ihren Köpfen wie ein Baldachin seine Äste ausbreitete.
    »Das ist fast so, als säßen wir in einem Tempel«, sagte er. »Ich bin ziemlich erschöpft und möchte mich jetzt gern ausruhen.«
    »So geht das nicht«, warf Dickon ein, »du darfst jetzt nicht von Müdigkeit sprechen, das könnte den Zauber vertreiben.«
    Colin wandte sich ihm zu und schaute ihn an. Er sah ihm direkt in seine unschuldigen, runden Augen. »Du hast recht«, meinte er dann, »ich darf an nichts als nur an den Zauber denken.«
    Es machte einen sehr majestätischen und geheimnisvollen Eindruck, als sich die vier im Kreis auf den Boden setzten. Ben Weatherstaff hatte fast das Gefühl, er sei irgendwie in eine kirchliche Andacht geraten. Normalerweise beteiligte er sich nicht an dergleichen Veranstaltungen, aber dies war schließlich Sache des Rayah, und so erhob er keine Einwände, sondern er war im Gegenteil dankbar dafür, daß man ihn um seine Mithilfe gebeten hatte. Mary war förmlich hingerissen. Ihr war sehr feierlich zumute. Dickon hatte sein Kaninchen im Arm. Vielleicht hatte er den Tieren ein geheimes Zeichen gegeben, denn als er sich wie die anderen mit untergeschlagenen Beinen ins Gras setzte, kamen die Krähe, der Fuchs, die Eichhörnchen und das Lamm herbei und suchten sich alle einen Platz in der Runde, als täten sie das aus freien Stücken.

    »Die Tiere sind gekommen«, sagte Colin ernst, »sie wollen uns helfen.«
    Er sah wirklich prachtvoll aus, kam es Mary in den Sinn. Er hielt seinen Kopf hoch erhoben, als stelle er einen Priester oder etwas Ähnliches dar, und seine merkwürdigen Augen hatten eine wunderbare Ausstrahlung.

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