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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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haben sie gestern zu sich genommen. Die Köchin hatte sich einen besonders guten Pudding für sie ausgedacht, und sie haben alles zurückgeschickt. Sie hatte fast geweint.«
    Als Doktor Craven kam, untersuchte er Colin lange und sorgfältig. Sein Ausdruck war hilflos, als die Schwester ihm das Tablett zeigte, auf dem ein fast unberührtes Frühstück stand. Sie hatte es eigens beiseitegestellt, um es dem Arzt zu zeigen. Doktor Craven war zwei Wochen geschäftlich in London gewesen und hatte daher seinen Patienten eine Zeitlang nicht gesehen. Wenn junge Menschen gesunden, dann geht das schnell. Die wächserne Farbe war von Colins Haut gewichen. Ein warmer, rosiger Schein lag auf seinem Gesicht. Seine schönen Augen blickten klar. Die Wangen hatten sich gerundet und die dunklen Locken um Colins Stirn wirkten wunderbar seidig und lebendig.
    »Ich bin beunruhigt zu hören, daß du nichts ißt«, sagte Dr. Craven besorgt. »Das ist nicht gut. Du wirst wieder einbüßen, was du an Gewicht zugenommen hast. Und du hast erstaunlich viel zugenommen. Vor kurzem noch hattest du doch so tüchtig gegessen?«
    »Ich sagte Ihnen schon, daß mein Appetit unnatürlich war«, erwiderte Colin unbefangen.
    Mary, die in der Nähe auf einem Stuhl saß, gab plötzlich einen Laut von sich, den sie so heftig unterdrücken versuchte, daß sie fast daran erstickte.

    »Was ist los?« fragte Doktor Craven, sich nach ihr umwendend.
    Mary wurde sofort wieder todernst. »Es war nichts. Nur ein Mittelding zwischen Husten und Niesen«, antwortete sie mit großer Würde. »Ich bekam es in die Kehle.«
    »Ach«, sagte sie hinterher zu Colin, »ich konnte mich einfach nicht halten vor Lachen. Ich hatte die dicke Kartoffel vor Augen, die du vor einer Stunde in den Mund gesteckt hast. Und wie du in das Brötchen mit Marmelade und Schlagsahne gebissen hast.«
    »Besteht die Möglichkeit, daß sich die Kinder heimlich etwas zu essen beschaffen?« fragte Doktor Craven die Hausdame.
    »Ausgeschlossen! Es sei denn, sie graben ihre Nahrung aus der Erde oder pflücken sie vom Baum«, antwortete Mrs. Medlock. »Sie sind den ganzen Tag draußen und sehen keinen Menschen. Und wenn sie etwas anderes haben möchten, als ihnen aufgetischt wird, so brauchen sie es ja nur zu sagen.«
    »Schön«, sagte Doktor Craven. »Solange ihnen das Fasten so gut bekommt, wie es den Anschein macht, brauchen wir uns ja nicht zu sorgen. Der Junge ist ganz und gar verwandelt.«
    »Das Mädchen auch«, sagte Mrs. Medlock. »Sie ist geradezu hübsch geworden. Sie war nämlich das unerfreulichste, verdrießlichste Kind, und jetzt lachen sie und Colin dauernd wie ein paar kleine Verrückte. Vielleicht werden sie davon dicker!«
    »Kann sein«, erwiderte Doktor Craven. »Lassen wir sie also lachen!«

Der Vorhang
    Der geheime Garten entfaltete sich in einem Meer von Blumen und offenbarte jeden Morgen neue Wunder. Im Rotkehlchennest lagen Eier, und Robins Frau brütete sie aus. Sie wärmte die Eier sorgsam mit ihrer gefiederten Brust und ihren Flügeln. Anfänglich war sie ein bißchen aufgeregt gewesen, und Robin paßte deshalb mit ihr auf. Nicht einmal Dickon näherte sich ihnen in diesen Tagen. Er wartete, bis das kleine Paar erkennen würde, daß von keinem der Kinder Gefahr drohte. Jedes wußte, daß für Robin und sein Weibchen eine Welt zusammenbrechen würde, wenn jemand ein Ei wegnähme oder verletzte. Zuerst hatte Robin Mary und Colin ängstlich beobachtet. Es kam ihm besonders seltsam vor, daß der Junge nicht auf zwei Beinen ging wie die anderen, sondern sitzend, in einem merkwürdigen Ding mit Rädern, in den Garten geschoben wurde. Außerdem besaß er die Angewohnheit, sich mit den Fellen wilder Tiere warmzuhalten. Das war natürlich von vornherein verdächtig. Als er dann anfing, aufzustehen und mit ungelenken Bewegungen im Garten umherzulaufen, versteckte sich Robin in einem Busch und beobachtete argwöhnisch, was da vor sich ging. Eines Tages erinnerte er sich an die Zeit, als er von seinen Eltern die Kunst des Fliegens erlernt hatte. Eigentlich hatte er sich dabei genauso unbeholfen angestellt. Vielleicht war es so, daß dieser Junge das Laufen erst lernen wollte und dabei auf die Hilfe der anderen angewiesen war. Aus einem geheimnisvollen Grund wußte er dagegen, daß er Dickon trauen konnte. Mit Dickon konnte man in der Rotkehlchensprache reden. Mit einem Rotkehlchen in der Rotkehlchensprache reden, ist dasselbe wie mit einem Franzosen französisch sprechen. Wenn Dickon

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