Der geheime Name: Roman (German Edition)
den Hals der Stute duckte. Sie preschten durch den Park, so weit wie möglich vom Schloss entfernt. Immer wieder sah Fina sich um. Aber hinter ihr blieb alles ruhig. Die Fenster im Obergeschoss, wo ihre Eltern schliefen, waren noch immer dunkel.
Fina hielt auf die Stelle in der Hecke zu, die sie ausgesucht hatte. Es war gefährlich, in der Nacht, bei Schnee und mit einem fremden Pferd über ein unbekanntes Hindernis zu springen. Aber ihr blieb keine Wahl. Ohne weiter darüber nachzudenken, trieb sie die Stute darauf zu. Das Tier spielte munter mit den Ohren, schien sich über die Aufgabe zu freuen und sprang ab. Fina glich sich der Bewegung an, duckte ihren Kopf neben den Hals und richtete sich wieder auf, als die Vorderhufe den Boden berührten. Für eine Millisekunde rutschte die Stute vorwärts, doch sie fing sich und galoppierte weiter.
Fina lachte. »Wir haben es geschafft, Josi!« Sie klopfte der Stute den Hals, konnte nicht aufhören zu lachen, während sie darüber nachdachte, dass ihre Eltern das Tier nach ihr benannt hatten: Josefina. Was für ein Schwachsinn. Nur heute ritt sie ihr Pferd und dann nie wieder. Aber gut, dass es die Stute gab. Schön für das Mädchen, das sie normalerweise reiten durfte. Und gut für sie, weil ihr Vater den Autoschlüssel mit auf sein Zimmer genommen hatte. Ganz zu schweigen von den Bodyguards, von denen bestimmt noch einer für das Tor zuständig war.
Zu Fuß hätte sie einfach zu lange gebraucht, um bis zur Autobahn zu kommen.
Doch so preschte sie weiter über die Felder, kürzte die Wege zwischen den Orten ab und ritt in Luftlinie auf das gelbe McDonalds-Schild zu, das in der Ferne leuchtete.
Irgendwann gab es nur noch ein kleines Wäldchen, das sie von dem Schild trennte. Fina ritt im Schritt hindurch, sprang schließlich von dem Rücken ihrer Stute und band sie an einen Baum. »Keine Angst. Sie werden deinen Spuren folgen und dich morgen hier finden.« Sie klopfte Josefina den Hals, presste ihr Gesicht ein letztes Mal in die weiße Mähne und lächelte. »Danke. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft!«
Dann wandte sie sich ab und lief eine Böschung hinauf, bis sie den Parkplatz des Fast-Food-Restaurants erreichte. Eine Reihe von Lkws parkte darauf, ansonsten war er leer.
Fina betrat das Hauptgebäude durch die automatische Tür, atmete den Geruch von heißem Frittierfett ein und sah sich um. Eine Handvoll Fernfahrer saßen an den Tischen, aßen ihre Burger und tranken Kaffee.
Fina suchte sich einen aus, an dessen Ringfinger ein Ehering leuchtete. Er sah aus, als wäre er zweifacher Familienvater, ungefährlich und freundlich – alt genug, um ihr eigener Vater zu sein. Fina nahm sich den Stuhl, der ihm gegenüberstand, und setzte sich. »Ich suche eine Mitfahrgelegenheit Richtung Norden.«
Er hob den Kopf, wischte sich etwas Soße vom Mund und sah sie an. Ein besorgtes Kräuseln huschte über seine Stirn. »Wie alt bist du? Von zu Hause ausgerissen?«
Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, einen Familienvater auszusuchen.
Fina atmete tief ein. Selbstbewusst und frech! Im Zweifelsfall kam man damit am weitesten.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Erstens: Alt genug, um selbst zu entscheiden, in welchem Schloss ich leben will. Und zweitens: Geht dich gar nichts an.« Sie kniff ihre Augen zusammen. »Wenn du mich nicht fährst, finde ich einen anderen.« Sie deutete mit dem Kopf in die Runde.
Sie wurden bereits beobachtet. Zwei Tische weiter saß ein bulliger Fahrer mit Boxernase und tiefliegenden Augen. Er griente sie einladend an.
Der Familienvater folgte ihrem Blick. »Autsch.« Er sah sie wieder an. »Du meinst es ernst, oder?«
Fina nickte.
Er seufzte. »In Ordnung. Ich bin auf dem Weg nach Hamburg. Passt die Richtung?«
Fina lächelte. »Könnte nicht besser passen.«
* * *
Der Morgen graute bereits, als Fina sich an der Autobahnabfahrt in Walsrode absetzen ließ. Sie kaufte sich im Supermarkt ein Päckchen Salz und trampte weiter Richtung Ebbingen. Doch sie stieg an der Landstraße aus, noch bevor sie das Dorf erreichten, genau dort, wo der letzte Zipfel des Waldes endete. Ihre Großmutter sollte nicht erfahren, dass sie wieder hier war. Fina wollte nur so schnell wie möglich zurück zu Mora.
Im Schein der Morgensonne rannte sie um den Wald herum und schließlich über den Wanderweg bis zum Grundlosen See. Es war nicht mehr so eisig wie in den letzten Wochen, der Schnee taute und ließ ein
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