Der geheime Name: Roman (German Edition)
versuchte, ihn wieder anzuheben. Schließlich blinzelte er sie an. »Ich sterbe, Fina.« Sein Gesicht trieb vor ihr zurück, seine Hand rutschte an der Scheibe herab. »Es war schön mit dir.«
»Mora, nein!« Fina schrie, wollte nach seiner Hand greifen.
Sie stieß gegen die Scheibe. Moras Bild zerplatzte, verwandelte sich in ihr eigenes Spiegelbild.
Hämisches Gekicher wehte aus weiter Ferne zu ihr herüber.
»Mora!« Fina schrie ihm nach, starrte in ihr blasses, entsetztes Gesicht.
Im nächsten Augenblick wich sie davor zurück, taumelte gegen ihr Bett und sackte darauf zusammen.
Sie musste zu ihm!
20. Kapitel
A us unzähligen kleinen Butzenscheiben fielen die Bilder über sie her: Moras geduckte Gestalt am Boden, eine Peitsche, die über seinen Rücken fegte. Aus drei Fenstern, von drei Seiten hörte sie seine Schreie. Sie sah die Hand, in der die Peitsche lag, den zweiten Daumen neben dem kleinen Finger. Er glühte auf, und die Peitsche wurde so schnell, dass ihre Bewegung nicht mehr zu sehen war. »Sterben …« Das Wort zischte aus den Schreien hervor. »Sterben … Töten … Sterben … Töten …«
Fina schloss die Augen, presste die Hände auf ihre Ohren. Doch es war gleich, ob sie in die Fenster sah oder in die Schwärze unter ihren Lidern: Die Bilder blieben. Sie wusste schon lange nicht mehr, ob sie träumte oder halluzinierte. Schon seit Stunden saß sie in der Dunkelheit und wartete darauf, dass sie endlich aus diesem Turmzimmer fliehen konnte. In der ganzen Zeit spürte sie die fremde Macht, die ihr immer schlimmere Bilder zeigte. Eine ganze Weile hatte sie versucht, sich dagegen zu wehren, doch ihr Verstand war zu schwach, um den Alptraum fernzuhalten. Immer wieder wirbelte der gleiche Gedanke durch ihren Kopf: Es war Moras Herr, der ihr die Trugbilder schickte, er wollte sie zu sich locken. Gleichzeitig spürte sie, dass diese Dinge wirklich mit Mora geschahen – und nach ihnen zu urteilen, hatte die Kreatur schon lange gewonnen.
Sie wollte zurückkehren und sich Moras Herrn stellen. Er sollte sie haben, sollte sie endlich bekommen, wenn er Mora im Austausch dafür das Leben ließ.
Fina heulte Rotz und Wasser, als die Bilder in den Butzenscheiben endlich verblassten. Um sie herum wurde es so dunkel und still, als wäre sie in die Tiefen des Weltraumes gestürzt.
Sie musste sich zusammenreißen, musste es jetzt tun oder nie. Ganz leise stand sie auf und schlich aus dem Zimmer. Auf Socken huschte sie durch die Gänge, die Treppen hinab, bis sie die Küche erreichte. Der Schlüsselbund hing noch dort, wo er am Nachmittag gewesen war. Fina nahm ihn an sich. Sie wusste nicht, welche Schlüssel zu welchen Türen gehörten. Aber sie hoffte, dass sie alle finden würde, die sie brauchte.
Am hinteren Ende der Küche gab es einen Dienstbotenausgang. Fina zog ihre Schuhe an, fand einen passenden Schlüssel und schlich nach draußen. Es war eisig. Sie kuschelte sich eng in ihre Jacke und verfluchte es, dass sie keine Mütze und keinen Schal dabeihatte. Sie horchte noch einmal auf knirschende Schritte im Schnee, blickte in die Ferne und versuchte, Fußspuren zu entdecken. Doch der Mond war in dieser Nacht nur eine schmale Sichel, und das Licht der Sterne reichte kaum aus, um viel zu sehen. Einzig der Schnee rettete ihre Sicht, gerade ausreichend, um bis zum Pferdestall zu finden.
Ein Bewegungsmelder ließ das Licht vor der Stalltür anspringen. Fina zuckte zusammen, sah sich hastig um, ob womöglich doch noch einer der Bodyguards draußen unterwegs war.
Aber alles blieb ruhig. Der Pferdestall war abgeschlossen. Es gab nur einen einzigen Schlüssel an ihrem Bund, der für das alte Schloss in Frage kam.
Er passte.
Hastig schlüpfte sie in den Stall, hoffte, dass das Licht vor der Stalltür bald wieder ausgehen würde, und lief zu ihrem Pferd. Die weiße Stute schien sie wiederzuerkennen, begrüßte sie freundlich und ließ sich bereitwillig satteln.
Fina versuchte, ruhig zu bleiben, als sie das Tier aus dem Stall führte. Ein Turnierpferd war es nicht gerade gewohnt, nachts im Dunkeln auszureiten. Wenn die Reiterin dann noch selbst nervös war, konnte es übel enden.
Doch die Stute schien starke Nerven zu besitzen. Sie sah sich neugierig um, als Fina aufsaß, ließ sich bereitwillig hinter dem Stall entlanglenken und galoppierte übermütig an, als Fina ihr das Kommando dazu gab.
Die eisige Luft zischte um Finas Ohren, die Mähne flatterte vor ihrem Gesicht, während sie sich tief über
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