Der geheime Name: Roman (German Edition)
vielstimmiges Plätschern durch das Moor hallen.
Fina rannte um den See herum, bog in den Pfad ab, der zwischen den Torfstichen entlangführte, bis zu der Stelle, an der sie ihr Tor streuen musste. Rechts und links spiegelte sich der blaue Himmel in den Moortümpeln, während sie das Salz auf den schwankenden Moosteppich streute. Wie die Male zuvor trat sie über das Tor. Sie erwartete den provisorischen Bohlenweg aus Baumstämmen unter ihren Füßen, doch der Grund blieb weich, vor ihr glänzte ein Moorauge und ließ sie straucheln.
Fina fing sich, sah sich um und suchte den Pfad zwischen den schmelzenden Schneefeldern. Aber sie entdeckte nur das dunkle Grün des Schwingrasens, die tückischen Wasserlöcher der Torfstiche und dazwischen die kleinen Birken und Kiefern des Moorwaldes.
Das Tor funktionierte nicht mehr! Fina hielt den Atem an. Der Boden unter ihren Füßen schwankte. Ihre Füße sanken im Moos ein und standen bereits in einer Pfütze. Hastig sprang sie zurück auf den schmalen Pfad.
Erst im nächsten Moment begriff sie, was gerade passiert war. Moras Welt ließ sie nicht mehr herein! Sie konnte nicht zu ihm, konnte ihn nicht retten!
Aber sein Herr wollte doch, dass sie kam! Er wollte sie haben. Dann musste er doch dafür sorgen, dass sie ihn erreichen konnte!
Fina drehte sich um sich selbst, suchte nach dem Wicht, den ihre Mutter ihr beschrieben hatte. Sie blickte über die letzten Schneehäufchen und hoffte darauf, seine Fußspuren darin zu finden. Doch es gab nichts, was auch nur im Entferntesten an Fußspuren erinnerte. »Wo bist du?«, schrie sie.
Ihr Echo hallte an den Bäumen des Moorwaldes wider, aber auf eine Antwort wartete sie vergeblich. Fina formte die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter: »Ich bin hier! Wenn du mich haben willst, dann zeig dich endlich!«
Sie hielt inne, wartete, bis das letzte Echo verklungen war, und lauschte: auf irgendein Flüstern oder das Knirschen seiner Schritte.
Doch nur das Plätschern des Tauwassers erfüllte das Moor.
»Verflucht! Wo steckst du? Wenn du nicht kommst, dann geh ich wieder!« Finas Blick fiel in einen der Torfstiche, der dicht mit Torfmoosen bewachsen war. Vielleicht sollte sie sich wieder hineinfallen lassen, vielleicht musste erst der Moment kommen, in dem sie starb, bevor Moras Herr sie retten konnte und sichtbar werden würde. »Soll ich mich umbringen? Ist es das, was du willst? Soll ich hier ins Moor springen?« Sie trat an den äußersten Rand des Pfades, ließ ihre Zehenspitzen darüber hinausragen. »Bitte sehr! Es ist mir egal! Ich springe, und dann kannst du sehen, ob du mich willst!«
»Was ist sie denn so verzweifelt?« Die Stimme knarrte, so dicht hinter ihr, dass sie erstarrte.
»Er ist doch längst hier und wartet auf sie.« Seine Worte drangen von unten zu ihr herauf, ließen sie ahnen, wie klein die Kreatur war, gerade so groß wie ein Kind.
Fina drehte sich langsam um, versuchte, in der klaren Luft etwas zu erkennen. Aber Moras Herr blieb unsichtbar.
»Folge sie ihm! Er wird sie dorthin führen, wo sie ihn erreichen kann.« Mit schmatzenden Schritten lief er vor ihr über den Torfpfad, führte sie auf den Wanderweg und um den See herum.
Finas Atem ging gepresst. Wie in Trance folgte sie ihm. Nur ganz allmählich wurde ihr klar, was sie hier tat: Sie lieferte sich selbst aus, gab sich in seine Hände – ohne zu wissen, ob sie Mora damit helfen würde, ob er überhaupt noch lebte.
Sein Tarnkreis hatte sie nicht mehr hereingelassen. Vielleicht war das der Beweis dafür, dass er längst tot war.
Moras Herr bog schließlich vom Wanderweg ab. Fina konnte seine Fußspuren im feuchten Untergrund erkennen, während er sie auf einen anderen Seitenpfad führte. Zwischen Birken und Kiefern hindurch in einen besonders dichten Teil des Moorwaldes.
Plötzlich sah sie eine Linie aus Salz vor sich. Als sie darüber trat, wurde vor ihr eine Gestalt sichtbar, ein kleines Männchen, das ihr knapp bis zur Brust reichte. Seine roten Haare standen drahtig und wirr von seinem Kopf ab. Es trug einen grünen Wams, der an die Zeichnungen alter Märchen erinnerte, und darunter eine braune Lederhose. In seinem Gürtel steckte eine Reihe von Messern, und dazwischen, griffbereit neben seiner rechten Hand: eine Peitsche.
Er drehte sich zu Fina herum. Ein breites Lächeln teilte sein Gesicht in zwei Hälften und ließ eine Reihe von klobigen Zähnen sichtbar werden.
Fina erstarrte. Wie große, runde Tischtennisbälle stachen seine Augen
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