Der geheime Name: Roman (German Edition)
in seinen Gedanken verwahrte: Fina … Fina … Fina …
Eine ganze Weile versuchte er, die Erinnerungen zu behalten, das Gesicht heraufzubeschwören, das zu diesem Wort gehörte. Aber die Bilder verloren ihren Zusammenhang, bis sie nur noch manchmal vor ihm aufblitzten: eine junge Zauberin, die ein seltsames Gebilde auf ihrem Schoß hielt, ein schlafendes Mädchen, das hilflos dalag, gelbe Haare, die wie Sonnenstrahlen im Wasser trieben – ein nackter Körper, der so anders war als seiner.
Nur schwach ahnte er noch, dass es ein Gefühl gegeben hatte, das zu diesen Bildern gehörte, etwas, wonach er suchen musste, was er wiederfinden wollte.
Doch das Brennen hatte es für immer verschlungen.
Immer wieder zuckte er zusammen. Hände berührten seine Haut, seinen Nacken, seinen Rücken, für Sekunden schienen sie ihn zu streicheln … bis er aufwachte und den rasenden Schmerz spürte, der alles andere unter sich begrub.
Plötzlich dröhnte eine Stimme durch seinen Kopf, schreckte ihn auf und ließ ihn blinzeln. Ein seltsames Keuchen hauchte um seine Ohren, war viel zu nah bei ihm. Er drehte seinen Kopf hin und her, um ihm zu entkommen. Doch das Geräusch verfolgte ihn!
Schließlich konnte er etwas sehen: das Mädchen, das zur Tür hereinkam, ihr kühles Gesicht unter den blonden, zerzausten Haaren. Sie sah ihn nicht an, blickte an ihm vorbei …
… zu jemand anderem. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
Das Gefühl, das eben noch zu Asche verbrannt war, loderte in Moras Brust auf, und für einen Moment bekamen die Erinnerungen einen Sinn: Monatelang war sie bei ihm gewesen. Er hatte sie beschützt, wenn sie schlief, hatte versucht, sie zu verstehen – warum sie gekommen war, warum sie bei ihm blieb. Das Gefühl in seiner Brust war mit jedem Tag gewachsen – bis sie ihm gezeigt hatte, was es bedeutete.
Doch jetzt brauchte sie ihn nicht mehr, das hatte sie deutlich gesagt. Es war ihr egal, wenn er starb. Sie hatte ihm noch ein bisschen Wasser gebracht, um nicht unmenschlich zu sein. Aber eigentlich war sie gekommen, um das Weib des Geheimen zu werden.
Diese Nacht war ihre Hochzeitsnacht!
Mora hörte ein schweres Stöhnen, erkannte erst jetzt, dass er es war, der dieses seltsame Keuchen von sich gab.
Es musste schlimm sein, wenn er so klang – wie ein Tier, das in seinen letzten Zügen dalag.
Der Schmerz in seiner Brust veränderte sich, er nahm Abschied von seinem verwirkten Leben, an das er sich bis jetzt geklammert hatte, von dem Wort, das endlich nicht mehr durch seinen Kopf zischen sollte: Fina …
Sie hatte ihn nur benutzt, hatte seine Dienste missbraucht. Jetzt war es egal, wenn er starb, vielleicht sogar das Beste – denn alles, was noch folgen würde, wollte er nicht mehr miterleben.
* * *
Ein furchtbarer Schrei riss Fina aus dem Schlaf, gefolgt von einem Stöhnen und Wimmern. Es war ein Geräusch, das ihre Nackenhaare sträubte, das den dunklen Abgrund in ihrem Inneren zum Klingen brachte. Von einem Moment auf den anderen wusste sie, was in dem Abgrund lauerte, womit das Geräusch kommunizierte: Dort unten lag die Antwort auf den Tod, der Wahnsinn, der in jedem schlummerte, bis der Verlust eines geliebten Menschen ihn weckte.
Mora!
Mit einem Schlag war Fina hellwach. Sie warf die Felle zur Seite und sprang auf.
Er lag noch immer in seinem Käfig, und doch sah er ganz anders aus als am Vorabend. Seine Haut war bleich unter ihrer dunklen Farbe, Schweiß überzog seinen Körper, und seine Arme hingen schlaff zur Seite. Stoßweise presste sich der Atem aus seiner Brust, vermischt mit einem Stöhnen, das kaum noch nach einem Menschen klang.
»Mora!« Fina lief zu ihm, fiel neben dem Käfig auf die Knie.
Erst jetzt dachte sie wieder an den Wicht. Hastig sprang sie auf, sah zu dem Lager, auf dem sie eben noch gelegen hatte.
Der Geheime war verschwunden. Seine Felle lagen ordentlich auf seinem Schlafplatz.
Finas Blick huschte durch die Hütte, suchte nach ihm, fand aber niemanden außer Mora.
Der Herr hatte sie mit ihm allein gelassen. Für eine Sekunde atmete sie auf, fiel zurück auf die Knie. Endlich konnte sie Mora sagen, dass sie gelogen hatte, warum sie gelogen hatte.
»Mora«, flüsterte sie. »Mora, wach auf. Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Ich liebe dich, daran hat sich nichts geändert. Ich musste nur lügen, um ihn zu beschwichtigen. Damit er dich nicht umbringt.«
Mora rührte sich nicht, nur das Keuchen presste sich aus seinem Mund.
Er musste etwas trinken!
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