Der geheime Name: Roman (German Edition)
beobachten.
Schon bald sah er aus, als wäre er eingeschlafen. Sein Mund blieb halb geöffnet, während das Grinsen auf seinen Lippen zusammenfiel.
Aber Fina wollte sich sicher sein. Ein zweites Mal könnte sie ihm nicht erklären, dass sie etwas trinken wollte. Noch schlimmer wäre es, wenn er erst einen Moment später erwachte und sie neben Moras Käfig erwischte. Was sollte sie dann sagen?
Doch je länger sie zögerte, desto deutlicher wurde ihre nächste Ausrede: Sie musste tatsächlich pinkeln. Der Drang wurde immer stärker, bis sie wusste, dass sie niemals die ganze Nacht aushalten würde.
Früher oder später musste sie aufstehen. Wenn der Alte nicht aufwachte, könnte sie sich zu Mora setzen – und falls doch, würde sie dem Geheimen sagen, was sie vorhatte, und nach draußen gehen.
Ob er ihr tatsächlich folgen würde?
Der Gedanke hielt Fina noch eine Weile zurück. Der Wicht sollte ihr nicht zusehen, wenn sie halbnackt im Gebüsch kauerte.
Schließlich hatte sie das Gefühl, dass seit ihrem letzten Versuch Stunden vergangen sein mussten, eine Ewigkeit, in der er regungslos dalag. Ganz langsam schob sie ihre Beine unter dem Fell hervor und stand auf. Sie blickte zu dem Geheimen, der sich noch immer nicht rührte, und sah endlich zu Moras Käfig hinüber.
Auch Mora schien zu schlafen, sein Kopf lag unter seinen Armen. Sein Atem ging stoßweise und ließ sie ahnen, welche Schmerzen er hatte.
Ob er sie hören würde, wenn sie zu ihm ging? Ob er schnell genug aufwachte?
Fina trat einen leisen Schritt nach vorne.
»Mag sie schon wieder etwas trinken?«, knirschte die Stimme des Alten.
Fina erstarrte. Sie atmete tief ein, drehte sich langsam um. »Nein. Dieses Mal muss sie …« Sie suchte nach den passenden Worten, hoffte, dass er von selbst darauf kam.
Er neigte den Kopf zur Seite, als wäre er neugierig, was sie zu sagen hatte.
Fina verzog die Nase. »Sie muss mal kurz nach draußen. Was man eben so muss, wenn man etwas getrunken hat.«
Der Blick des Alten fuhr über ihren Körper, sein Mund zog sich zu einem Grienen, während er die Felle zur Seite schlug.
Fina wurde übel. Er durfte ihr nicht folgen, durfte ihr nicht zusehen! »Warte er nur hier. Sie ist gleich zurück.« Sie verhaspelte sich, war bemüht, dass sich die Panik nicht auf ihrem Gesicht widerspiegelte.
Hastig wandte sie sich ab, ihr Blick streifte Moras Käfig, seine geduckte Gestalt.
Wann konnte sie endlich zu ihm? Würde der Geheime sie jemals unbeobachtet lassen?
Ohne dass sie es merkte, begannen ihre Füße zu laufen. Sie zwang sich, langsamer zu werden und mit normalem Schritt bis zur Tür zu gehen.
Sie musste schauspielern, musste so tun, als wäre sie gerne bei dem Alten. Fina nahm all ihren Mut zusammen, rang sich ein charmantes Lächeln ab, das sie ihm über die Schulter zurückwarf.
Seine glubschigen Augen saugten ihr Lächeln auf, wollten auch den Rest ihres Körpers verschlingen.
Er war so hässlich!
Fina riss die Tür auf und lief nach draußen. Die Übelkeit in ihrem Bauch tobte, während sie in den Wald huschte. Sie musste so weit wie möglich weg von der Hütte, in irgendein Gebüsch, in dem er sie nicht finden würde, falls er herauskam. Ihre Beine wurden weich, ließen sie stolpern. Sie fiel auf die Knie, fing sich mit den Händen und sprang wieder auf. Vor ihr lag ein dichtes Gestrüpp.
Warum floh sie nicht einfach? Mora war verloren, er lag im Sterben – und bis es so weit war, würde der Alte sie niemals mit ihm allein lassen.
Wenn sie jetzt floh, würde Mora wenigstens wissen, dass sie in Sicherheit war. Allein aus diesem Grund hatte er sie fortgeschickt und sich selbst geopfert.
Der Wald verschwamm vor ihren Augen. Sie erreichte das Gestrüpp, taumelte und stützte sich an einem Baumstamm ab. In ihrem Inneren fühlte sie wieder das schwarze Loch, das vor ihr aufklaffte und sie in den Abgrund hinabstarren ließ.
Sie konnte das nicht tun! Sie durfte Mora nicht alleinlassen. Selbst wenn sie dafür neben seinem Herrn schlafen musste.
Fina sackte auf dem Waldboden zusammen, krümmte sich nach vorne. Der dunkle Abgrund zog an ihr, ließ sie das schwarze Netz erahnen, mit dem er ihre Seele einfangen würde.
Ganz egal, was sie tat, sie würde hinabstürzen – in dem Moment, in dem Mora starb. Oder an dem Tag, an dem der Alte sie zu seinem Weib nahm.
* * *
Die Flammen legten eine brennende Decke über seinen Rücken, fraßen sich immer tiefer in seine Haut und zischten das letzte Wort, das er
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