Der geheime Name: Roman (German Edition)
Aber er wollte nicht mehr darum bitten.
Schließlich sah er einfach zu, wie der Herr Finas Hand ergriff und sie zurück zum Tisch führte. Sein gütiges Lächeln ruhte auf ihrem Gesicht, sein freundlichster Blick, den Mora sich immer gewünscht hatte, für den er alles gegeben hätte und den der Herr ihm dennoch fast niemals zuteilwerden ließ.
Plötzlich wurde ihm klar, wie einfältig er gewesen war. Wie hatte er nur glauben können, dass Fina ihn liebte, dass sie gleichwertig mit ihm war? Sie war keine Dienerin und auch keine Gefangene. Sie war eine Herrin, an der Seite des Geheimen.
Moras Schmerzen loderten auf. Wilder Schwindel trieb seine Gedanken davon. Er schloss die Augen und legte den Kopf auf seine Arme. Er wollte schlafen, wollte verschwinden. Doch die brennende Qual wurde mit jedem Atemzug stärker. Wann immer er ins Leere abtrieb, riss der Schmerz ihn zurück und ließ ihn aufkeuchen.
Irgendwann erkannte er, dass Fina und der Herr zu Bett gegangen waren. Er konnte sie nicht sehen. Ihre Schlafstätten lagen verborgen hinter dem Feuer. Doch ihr leises Flüstern und das Rascheln der Felle mischten sich in das Zischen der Flammen.
Moras letzter Gedanke galt dem, was sie dort taten.
21. Kapitel
F ina versuchte, das Zittern zu besiegen, während sie sich unter ihren Fellen zusammenrollte. Der Wicht lag kaum eine Armlänge hinter ihr. Sie hörte seinen gierigen Atem. Etwas bewegte sich, krabbelte über das Lager auf sie zu … Seine Finger!
Sie erreichten ihren Rücken, stupsten gegen das Schaffell!
Fina war wie versteinert. Sie wollte verschwinden, unsichtbar werden. Aber die Finger kamen unaufhaltsam näher, raschelten dicht an ihren Ohren, legten sich in ihren Nacken!
Sie wirbelte herum, starrte in sein Gesicht. Riesige Augen blinzelten sie an, seine spitze Nase schnupperte.
Fina rückte weiter nach hinten.
»Es ist doch ihre Hochzeitsnacht. Freut sie sich nicht?« Sein Grinsen teilte sein Gesicht, seine Mundwinkel zuckten. »Sie ist ihm doch schon so lange versprochen. Heute Nacht macht er sie zu seinem Weib.«
Schwindel erfasste sie, wirbelte durch ihren Kopf. Sie wollte schreien, aufspringen. Sie musste sich wehren!
Doch wie? Nicht einmal Mora war es gelungen, gegen den Alten zu bestehen.
Wieder krabbelten seine Finger über das Fell, näherten sich ihrer Hüfte.
Sie musste etwas tun! Musste sich etwas ausdenken! Eine List! Nur das könnte helfen.
»Es ist nicht unsere Hochzeitsnacht«, stammelte Fina, flüsterte so leise, dass sie sich selbst kaum hörte. »Wie könnte es das sein, wir haben ja nicht geheiratet!«
Das Grinsen des Alten fiel zusammen, seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
Fina zwang sich zu einem Lächeln, gab sich Mühe, in seiner Sprache zu reden. »Nur, wenn sie richtig geheiratet haben, darf der Geheime sie anrühren.«
Seine Augenlider zuckten, verengten sich und weiteten sich wieder, fast so, als müsste er ihre Worte erst erforschen.
Finas Atem setzte aus. Sie musste noch mehr Argumente finden, um ihn fernzuhalten, noch bessere. »Wir brauchen einen Pfarrer, der uns traut. Nur dann ist es eine Hochzeit! Wenn wir uns vorher zu nah kommen, dann …« Sie schluckte. »Dann bringt es Unglück, dann …« Noch mehr Argumente, noch bessere. »… dann werden alle unsere Kinder sterben.«
Die Augen des Geheimen wurden noch weiter, fielen fast aus ihren Höhlen.
Was für ein Schwachsinn! Dass ihre Kinder starben … Dieser seltsame Gnom war womöglich unsterblich, so alt wie der Ursprung aller Märchen. Wie sollte ausgerechnet sie ihm etwas vormachen? Er musste längst wissen, dass das Überleben von Kindern nichts mit einer kirchlichen Hochzeit zu tun hatte.
Falls er überhaupt Kinder wollte. Falls eine Kreatur wie er überhaupt mit einer Menschenfrau …
Fina wurde übel, Panik strömte durch ihren Körper. Sie wollte wegrennen, fliehen, musste um jeden Preis verhindern, dass so etwas passierte!
Mora! Er war verletzt! Er war eingesperrt! Sie konnte nicht fliehen!
Sie konnte nicht einmal schreien. Was auch immer jetzt passieren würde, was auch immer der Wicht mit ihr tat, Mora sollte es nicht mitbekommen. Sie musste leise sein, musste ihm ersparen, auch noch das mitzuerleben.
»Und wenn der Geheime einen Pfarrer findet – wird sie ihn dann heiraten?«, flüsterte der Alte ihr zu.
Finas Atem stolperte. Glaubte er ihr etwa?
Ein zärtliches Schimmern glänzte in seiner Iris. Ja, er glaubte ihr tatsächlich! Er hatte ihr einen Antrag gemacht und
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