Der geheime Name: Roman (German Edition)
Vielleicht war es das, vielleicht reichte das schon, damit er sich wieder erholte.
Fina sprang auf und lief zum Tisch, goss einen Becher voll Wasser und nahm den Krug gleich mit zum Käfig. »Hier, Wasser für dich.« Sie hielt den Becher durch das Gitter, setzte ihn an Moras Mund und hob ihn leicht an.
Mora stöhnte, das Wasser lief aus seinen Mundwinkeln, tropfte auf den Boden und sammelte sich zu einer Pfütze.
»Komm schon! Trink was!« Fina versuchte, seinen Kopf zu drehen, versuchte, ihn so weit aufzurichten, dass das Wasser wenigstens in seinem Mund blieb.
Doch Mora war zu schwer, um ihn mit ausgestreckten Armen zu halten – und er war zu weit von den Gitterstäben entfernt, um näher an ihn heranzurücken.
»Verflucht, Mora! Jetzt trink! Sonst stirbst du!« Fina wollte ihn anschreien, aufrütteln. Nur der Anblick seiner Verletzungen hinderte sie daran. Gelbliche Ränder umrahmten die Striemen auf seinem Rücken, hoben den Schorf von den Wunden an und quetschten eine klebrige Flüssigkeit darunter hervor.
Fast sein ganzer Rücken hatte sich entzündet. Wie lange würde es dauern, bis die Sepsis sein Blut vergiftete, bis er daran starb? Vielleicht war es schon so weit, womöglich ging es ihm deshalb so schlecht.
Tränen traten in ihre Augen. Sie durfte ihn nicht aufgeben, musste ihn irgendwie retten. »Verdammt, Mora! Jetzt komm schon!« Sie setzte wieder den Becher an seinen Mund, hob ihn an, immer wieder, bis er leer war.
Doch nur die Pfütze unter ihm wurde breiter.
Vor der Hütte stapften schwere Schritte, etwas polterte gegen die Tür.
Fina sprang auf, wich vor dem Käfig zurück und starrte zum Eingang.
Die Tür flog auf, und der Geheime trug einen Wasserkessel herein. Er hielt ihn mit der gleichen Leichtigkeit, mit der Mora es getan hatte. Nur dass der riesige Kessel vor dem Körper des Wichtes so unecht aussah wie ein Styroporgewicht in den Händen eines schmächtigen Clowns.
Mit einem schnellen Blick zeichnete der Herr den Weg von Mora zu Fina nach, analysierte ihren Gesichtsausdruck mit zusammengekniffenen Augen und trug den Kessel schließlich so unbewegt an ihr vorbei, als hätte sie die Prüfung bestanden.
Wenn irgendjemand Mora helfen konnte, dann dieses seltsame Männchen. Es verwandelte Dinge in Gold, besaß unmenschliche Kräfte. Warum sollte es nicht auch einen Menschen gesund zaubern können?
Doch wie sollte sie den Geheimen dazu bringen? Ihm konnte es nur recht sein, dass Mora im Sterben lag. Dann musste er seine Konkurrenz nicht mehr fürchten, musste sie nicht mehr fragen, ob sie den Diener liebte.
Fina beobachtete, wie der Alte den Kessel in die Hängevorrichtung hob – und plötzlich wusste sie, wie sie ihn austricksen konnte. »Muss der Geheime das jetzt immer selbst tun?«
Der Wicht wischte seine feuchten Hände an der Hose ab und drehte sich zu ihr um.
Fina durfte ihm keine Zeit lassen, musste ihn einwickeln, bevor er reagieren konnte: »Wenn der Diener stirbt – dann muss der Geheime ja alle schweren Arbeiten selbst verrichten: Holz schlagen, Wasser holen, Tiere schlachten.« Fina schluckte, zwang sich dazu, ihre Argumente zu erweitern. »Dann hat er ja gar keine Zeit mehr, um sich mit seinem neuen … mit …« Zum Teufel, Fina, sprich es aus! »Um sich mit seinem neuen Weibchen zu befassen.«
Die Augen des Alten wurden groß, weiße Tischtennisbälle, die fast aus ihren Höhlen sprangen. Er blickte zu Mora, legte seinen Kopf zur Seite, als würde er überlegen.
Sie musste seine Gedanken in die richtige Richtung lenken, musste es jetzt tun, bevor er sie durchschaute: »Nur einmal angenommen, er könnte den Diener heilen – wäre das nicht sinnvoll? Wenn der Geheime und sie einen Diener hätten, würde es ihr auch viel leichter fallen, sein Weibchen zu werden. Schließlich möchte sie ungern so harte Arbeit verrichten.«
Die Augen des Wichtes wurden schmal, er stieß ein seltsames Brummen aus und kniete sich neben den Käfig. Sein Blick glitt über Moras Körper, seine Hand griff zwischen den Stäben hindurch und berührte Moras Nacken, strich über seinen Rücken.
Ein gequältes Heulen mischte sich in Moras Stöhnen, beruhigte sich auch dann nicht, als der Herr seine Hand zurückzog.
Fina hielt den Atem an. Wahrscheinlich war es längst zu spät. Ohne Antibiotika würde Mora nicht mehr zu retten sein.
Vielleicht sollte sie das vorschlagen: dass sie in ihre Welt gehen könnte, um wirksame Medizin zu holen?
Der Geheime grummelte ein weiteres Mal,
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