Der geheime Name: Roman (German Edition)
Von einem Monster. Sie selbst hatte es provoziert.
Fina wollte davonlaufen, wollte zurückrennen zu Mora. Er musste dort sein, wo sie das leere Feld sah. Doch sie wagte es nicht, sich zu rühren.
Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass die Schwäche des Geheimen ihre Chance war. Vielleicht konnte sie jetzt endlich das aus ihm hervorlocken, weshalb sie sich ausgeliefert hatte.
»Sie wollte so gerne etwas von dem Gemüse haben.« Fina ließ ihren Blick zurück auf den Boden gleiten. »Kann er nicht mit dem Salz ein Tor streuen und hinausgehen? Um etwas von dem Wirsing zu holen?«
Nur aus den Augenwinkeln ahnte sie, wie er seinen Kopf neigte, wie er sie eine ganze Weile ansah, als würde er sich die Antwort überlegen.
»Er würde sterben, wenn er hinausträte«, erklärte er schließlich leise.
Fina hörte auf zu atmen. Sie hatte ihn dort, wo sie ihn haben wollte. Er offenbarte seine Geheimnisse, hatte anscheinend vergessen, dass ihre Mutter glaubte, er könnte sie bis an jeden Ort der Welt verfolgen.
Jetzt musste er nur noch mehr verraten, die alles entscheidende Frage: »Und Morasal? Könnte der Diener den Wirsing nicht holen?«
Der Wicht hüllte sich in Schweigen, eine halbe Ewigkeit lang, die sie erahnen ließ, wie seine Vorsicht langsam zurückkehrte.
Plötzlich brach sein Lachen über sie herein, hallte so spöttisch durch den Wald, dass sie zusammenzuckte. »Will sie das denn?« Seine Stimme klang scheinheilig. »Soll der Diener wirklich für sie hinausgehen?«
Fina hielt erneut den Atem an. Auf einmal musste sie an die Helfer des Moores denken, an ihren Wunsch, der Alte möge etwas tun, um Mora zu heilen. Dem Geheimen war es egal gewesen, ob Mora starb. Er hatte einfach nur ihren Wunsch erfüllt.
Genauso würde es wieder sein. Er würde Mora anordnen, was sie sich wünschte. Aber ihre Frage würde sich erst beantworten, wenn Mora über das Salztor trat.
»Morasal!« Der Alte wirbelte herum.
Finas Blick huschte an ihm vorbei, fiel auf Mora, der ganz am Rand des Waldes stand, genau dort, wo das Feld begann. Er schien schon länger dort zu stehen, bestimmt lange genug, dass er das Lachen und die Fragen des Herrn gehört hatte. Fina erkannte den Schreck in seinen Augen.
»Hat es mitbekommen, was seine Herrin verlangt?« Der Geheime ging mit entschlossenen Schritten auf Mora zu. »Es soll ihr von dem Kohl holen! Es gelüstet sie nach etwas Abwechslung auf dem Speiseplan!«
Fina wollte dazwischenfahren, wollte dem Herrn zurufen, dass sie es sich anders überlegt hatte.
Doch der Geheime hatte Mora bereits erreicht, legte die Hand gegen seine Brust und schob ihn rückwärts über die Grenze.
Plötzlich waren beide verschwunden.
Fina brauchte eine Sekunde, um ihre Verwirrung zu ordnen. Mora und sein Herr mussten auf der anderen Seite des Tarnkreises sein, dort, wo das Kohlfeld angrenzte.
Finas Starre löste sich. Endlich konnte sie rennen, lief auf den leeren Acker zu und stolperte schließlich beinahe über die Picknickdecke.
Sie war zurück in dem Laubwald, in dem ihre Wanderung begonnen hatte. Mora hatte das Picknick vorbereitet, hatte die Wildschweinkeulen und das Brot auf der Decke ausgebreitet.
Fina wirbelte herum, erkannte, wie er mit dem Geheimen am Waldrand stand. Der Herr hielt ein Säckchen in der Hand, streute eine weiße Linie auf den Boden, während Moras Blick zu ihr herüberfiel. Angst glühte in seinen Augen. Er würde sterben, wenn er über die Linie trat!
Das Kichern des Alten giggerte durch den Wald.
Fina rief dazwischen: »Aufhören!«
Der Geheime richtete sich auf, drehte sich langsam zu ihr um.
»Der Kohl ist nicht so wichtig.« Finas Stimme bebte. »Wir müssen den Diener nicht in Gefahr bringen.«
Der Herr kicherte erneut. »O nein, ihr Wunsch soll dem Scheusal stets Befehl sein.« Er fasste nach seiner Peitsche, zog sie aus dem Halfter und nickte Mora zu.
* * *
Ein letztes Mal sah Mora sie an, ihr bleiches, verstörtes Gesicht, die Schuld darauf, die sich so schmerzhaft in seine Brust bohrte. Gerne hätte er ihr gesagt, dass er ihr verzieh, dass es für ihn keine Bedeutung besaß, ob er starb oder lebte.
Doch was noch vor kurzer Zeit die Wahrheit gewesen war, wäre inzwischen eine Lüge. Er wollte leben – um für sie zu sorgen, um sie zu beschützen, um bei ihr zu sein.
Wie in Zeitlupe befolgte er den Befehl, ging auf die Salzlinie zu. Wenn er jetzt über das Tor trat, ließ er sie allein mit dem Herrn!
Mora blieb stehen, wollte sich umdrehen und dem Herrn
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