Der geheime Name: Roman (German Edition)
Weibchens floss durch seinen Körper, strömte durch seine Adern und erweckte ihn zu glühendem Leben. Nichts hatte sich je so angefühlt wie ihr Anblick, wenn sie den Kopf senkte, wenn ihre goldenen Haare in ihr Antlitz fielen und nur die Sicht auf ihren weichen Mund frei ließen. Sie war größer als er, und doch sah sie zart und klein aus, wenn sie so dastand. So zerbrechlich, wie nur die Weibchen der Menschen sein konnten, wenn sie noch jung und unberührt waren.
Der Geruch ihrer Angst zog durch die Luft, fing sich in seiner Nase und prickelte auf seiner Zunge. Ganz langsam schloss er seine Finger um ihre, fühlte, wie die Furcht aus ihrer Haut sickerte.
Er konnte kaum genug von ihr bekommen, von diesen Augenblicken, in denen sie sich auslieferte. Sie fürchtete sich vor ihm, und dennoch hatte sie eingewilligt, ihn zu heiraten. Ihr Herz raste in seiner Gegenwart, und trotzdem suchte sie beständig nach seiner Nähe. Sie wies seine Berührung zurück, aber das Lächeln, mit dem sie seinen Worten antwortete, streichelte über sein Gesicht.
Solange sie nicht verheiratet waren, bestand sie darauf, getrennt von ihm zu schlafen – doch Nacht für Nacht atmete er die Lust, die ihr Körper verströmte.
Bei jeder anderen Kreatur genoss er die Angst, bis sie verbraucht war. Es waren die einzigen Momente, in denen er etwas fühlte: wenn ein Tier vor seinen Augen ausblutete, wenn seine Peitsche Moras Körper versehrte. Nur in diesen Momenten lebte er noch.
Doch bei dem Weibchen war es anders. Ihre Furcht durfte nicht so stark werden, dass sie daran zerbrach. Er wollte sie behalten, hatte zum ersten Mal das Bedürfnis, ein Wesen zu trösten.
Seit sie bei ihm war, versuchte er, das Gefühl zu verstehen, das sich in ihm bildete. Aber erst jetzt fing er an, es zu durchschauen, fing an zu begreifen, dass es das war, was die Menschen als Liebe bezeichneten.
Er liebte ihr Lächeln, ihre Fragen, das Glitzern ihrer Augen. Er freute sich auf jede Minute mit ihr und erzählte ihr so gerne von sich, dass er aufpassen musste, nicht zu viel zu verraten. Ja, sogar sein Name spukte unaufhörlich durch seinen Kopf, wann immer sie in seiner Gegenwart war.
Grummelscrat spürte den Drang, über ihr demütiges Haupt zu streichen, ihre goldfarbenen Haare zu berühren.
Sie war die Richtige, um sich mit ihr zu vereinen. Sie war es wert, ihretwegen in die Sterblichkeit überzugehen.
»Hat er ihr schon verraten, was so schlimm ist an einem unsterblichen Leben?«
Das Weibchen schüttelte den Kopf.
»Dass sich die Gefühle in der Endlosigkeit verlieren und absterben. Nur das, was wirklich stark ist, kann er noch spüren.«
Ihre Angst explodierte, rieselte so gierig durch seinen Körper, dass er sich kaum beherrschen konnte.
Doch trotz ihrer Furcht hob sie den Kopf, blickte in seine Augen und weckte einen Sog, mit dem er sich vor ihr entblößen wollte.
Er musste es ihr gestehen: »Der Geheime kann sie fühlen.«
Ihr Blick blieb ernst, ihre Hand lag noch immer in seiner. Dennoch schrie die Panik aus jeder ihrer Poren.
Wenn er wenigstens einmal ein Versprechen brechen könnte, wenn er sie hier und jetzt auf den Boden werfen dürfte …
Grummelscrats Herz schlug hart gegen seine Brust, pumpte das Blut so spürbar durch seine Adern wie niemals zuvor. Er wollte sich ihr noch weiter ausliefern, wollte das Lied singen, mit dem die Seinen ihren Bund besiegelten – wenn sie den seltenen Schritt gingen und sich miteinander verbanden.
Unaufhörlich spukte die Melodie durch seinen Kopf, die er vor so vielen tausend Jahren von seiner Mutter gelernt hatte. Ohne dass er es verhindern konnte, drängte sie sich in seine Stimme, wollte sich mit den geheimen Worten vermischen: Grummelscrat, Grummelscrat …
Sie war ein Mensch! Auch wenn sie etwas Besonderes war, vor ihr durfte er das Lied nicht singen.
Die Melodie schlüpfte durch seine geschlossenen Lippen, die Worte formten sich in seinem Kopf.
Grummelscrat, Grummelscrat ist sein geheimer Name, Grummelscrat, Grummelscrat liebt seine junge Dame.
Wenn er es sänge, besäße sie alle Macht über ihn. Sobald sie seinen Namen erfuhr, konnte sie ihn töten.
Er musste endlich die Kontrolle zurückgewinnen!
* * *
Der Geheime ließ ihre Hand los, wich vor ihr zurück, als hätte er sich verbrannt. Nur sein unheimliches Summen hallte noch durch den Wald, vibrierte mit einem letzten Ton auf seinen Lippen, bevor er verstummte.
Er hatte gesagt, er könne sie fühlen.
Es war eine Liebeserklärung!
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