Der geheime Name: Roman (German Edition)
Wand in einer schönen Farbe gestrichen oder sich einen Vorhang genäht, um damit ihr Bett abzuhängen. Sie wünschte sich, ihre Fotos endlich auszubelichten und ihre Wände damit zu dekorieren – oder sie zu kunstvollen Collagen zusammenzukleben.
Aber jede Mühe und jede Anschaffung war sinnlos, weil sie beim nächsten Umzug keinen Platz fand, um sie mitnehmen zu können. Nicht einmal die Bücher konnte Fina aufbewahren.
So würde sie fast nichts aus der Provence auf ihrem Weg nach Neuseeland begleiten. Ein Speicherchip mit Fotos war alles, was von ihrer Vergangenheit ins Gepäck passte. Mit ihrer Kamera, den Objektiven und ihrem Laptop war der Platz für Luxusgüter schon mehr als ausgereizt.
Selbst aus ihrem Kleiderschrank suchte sie nur das Nötigste heraus. Ein paar leichte Sachen für die Übergangszeit, die sie hoffentlich nach ihrer Ankunft in Neuseeland gebrauchen konnte. Auf der anderen Seite der Welt begann bald der Frühling.
Dafür besaß ihre Mutter ein Händchen: Im ewigen Sommer zu leben, immer zur passenden Jahreszeit von einer Hälfte der Welt zur anderen zu reisen. Seit etlichen Jahren gelang ihr das nun schon. Finas Haut war in dieser Zeit immer gebräunter und ihre blonden Haare immer heller geworden.
Bislang hatte sie dieses Timing für einen erstaunlichen Zufall gehalten. Aber offensichtlich war es mehr als das. Ihre Mutter plante es so. Sie bereitete alles vor, so dass sie nur noch packen mussten, rief ihren Vater an, traf sich mit ihm und suchte am nächsten Tag das Weite.
Wahrscheinlich stimmte es auch nicht, dass sie den Flug erst heute Morgen gebucht hatte. Vermutlich hatte sie das schon vor Wochen getan.
Ihre Mutter war krank! Warum sonst sollte sie sich so verhalten? Eine Verrückte, die ihre Tochter über die ganze Welt zerrte, nur um vor ihrer Wahnvorstellung zu fliehen. Wie konnte ihr Vater das nur mitmachen? Er musste sie furchtbar lieben und eine endlose Geduld besitzen, anders war es nicht zu erklären.
Fina hielt inne, während sie auf dem Boden vor ihrem Rucksack kniete. Für einen Moment fragte sie sich, warum sie überhaupt hier saß und packte? Warum zog sie nicht einfach los und fing ihr eigenes Leben an?
Wenn sie nur wüsste, wohin? Sie hatte noch keinen Studienplatz – und kein eigenes Geld, um sich eine Wohnung zu mieten.
Wenn sie wenigstens den Ort aus ihrem Traum kennen würde …
Fina spürte, wie ihre Tränen wieder hervorquollen. Sie hatte keine andere Wahl, als mit ihrer Mutter nach Neuseeland zu gehen. Das Bild des Rucksacks verschwamm vor ihren Augen. Alles, was bleiben würde, war darin verstaut.
Hastig zog Fina den Karton unter dem Bett hervor, den sie schon vor Monaten gekauft hatte. Sie sprang auf, nahm den gefalteten Boutis und legte ihn hinein. Sie sammelte ihre Bücher und die CDs aus dem Regal und schichtete sie darüber. Schließlich holte sie den handgestrickten Winterpulli aus ihrem Schrank. Erst vor zwei Wochen hatte sie ihn auf dem Markt gekauft, in der irrationalen Hoffnung, hier vielleicht auch noch den Herbst zu erleben. Sie breitete ihn über den Büchern aus und zog als Letztes ihr Tagebuch aus dem Schreibtisch.
Fieberhaft schrieb sie einen letzten Eintrag hinein.
Liebe Großmutter,
es ist so weit, wir ziehen um. Es ist alles ein großer Betrug, aber davon schreibe ich Dir später, weil ich jetzt keine Zeit habe. Wie immer schicke ich Dir meine Lieblingssachen, die ich nicht mitnehmen kann. Bitte bewahre sie für mich auf.
Fina blickte von dem Buch auf und sah nach draußen. Der Mond war schon lange vom Himmel verschwunden. Stattdessen glitzerte das erste Sonnenlicht auf dem Tau, der die grauen Reihen des abgeernteten Lavendelfeldes überzog.
Vor fünf Jahren hatte sie angefangen, das Tagebuch an ihre Großmutter zu schreiben. Vor jedem Umzug hatte sie es in einen Karton gepackt und mit ihren Lieblingssachen zu ihr geschickt.
Plötzlich erinnerte sie sich daran, was sie ihr früher immer geschrieben hatte.
Fina beugte sich wieder über ihr Tagebuch.
Erinnerst Du Dich daran, was ich Dir früher immer geschrieben habe? Ich habe davon geträumt, dass es ein Zimmer bei Dir gibt, in dem Du meine Sachen sammelst, ein Zuhause, das auf mich wartet. Ich habe Dir immer geschrieben, dass ich eines Tages zu Dir kommen werde.
Keine Ahnung, warum: Aber in den letzten Jahren habe ich das wohl aus den Augen verloren. Vielleicht, weil ich angefangen habe, an eine andere Zukunft zu glauben, an ein Studium und echte Freunde. Ich habe geglaubt,
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