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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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und der unablässig über ihre Hand strich, war niemand Geringerer als Finas Vater. Ihr leiblicher, wahrhaftiger Vater – vor dem sie flohen. Der seine Frau angeblich umbringen wollte, um dann seine Tochter zu sich zu holen.
    Fina sackte neben der Platane auf die Knie, lehnte sich an den dicken Stamm und schloss die Augen. »Das kann alles nicht wahr sein«, flüsterte sie. »Bitte sag, dass ich träume. So furchtbar kann sie mich nicht belügen.«
    Das misstrauische Tier wollte brüllen vor Schmerz, wollte über den Marktplatz kreischen, welcher Betrug hier begangen wurde. Doch Fina hieß es zu schweigen.
    Sie musste sich Gewissheit verschaffen. Sie blickte wieder nach oben und sah zu ihren Eltern. Nur ein einziges Foto besaß sie von ihrem Vater, eines, das alt war und das ihre Mutter schon vor Jahren weggeworfen hatte. Aber Fina hatte es aus dem Mülleimer geholt und bewahrte es seither auf. Wann immer sie es betrachtete, fragte sie sich, ob der blonde, lächelnde Mann mit den freundlichen Augen wirklich so schlimm sein konnte. Gerade diese Augen stellten alles in Frage. Es waren Finas Augen, das gleiche Rehbraun, das sie so gerne mochte, auf das sie immer ein bisschen stolz war. Es passte zu ihrer Haut, die schnell braun wurde, und bot einen interessanten Gegensatz zu den hellblonden Haaren.
    Ihr Vater besaß die gleiche Haut, die gleichen Haare. Je älter sie geworden war, desto mehr staunte sie darüber, wie hübsch der angeblich so böse Mann auf dem Foto aussah, und noch erstaunlicher war es, wie sehr sie ihm ähnelte.
    Jetzt wusste sie, dass ihre Mutter gelogen hatte. Wie auch immer ihr Vater war – offensichtlich war er nicht das, was ihre Mutter behauptete.
    Fina nahm ihren Rucksack und die Kamera und stand wieder auf. Im Schatten der Bäume schlich sie um den Marktplatz herum, bis sie ihren Vater von vorne sehen konnte. Hier war sie zwar etwas näher am Geschehen, aber sie fand ein schattiges Plätzchen zwischen der Kirchmauer und einer Platane, an dem sie gut getarnt war.
    Wieder spähte sie durch das Teleobjektiv und spürte, wie sie ruhig und kalt wurde. Sie holte ihren Vater so nah wie möglich heran, betrachtete die Lachfältchen, die um seine Augen spielten, und begutachtete seinen Anzug, der so perfekt saß, als wäre er maßgeschneidert. Immer wieder lachte er mit ihrer Mutter, strich mit seiner Hand durch ihre sorgfältig gelockten Haare, und obwohl er ein Gläschen Rotwein vor sich stehen hatte, wirkte er weder betrunken noch aggressiv.
    Fina schaltete den Blitz ihrer Kamera aus, stellte das Bild ihres Vaters scharf und drückte auf den Auslöser. Zwar würden die Bilder verwackeln, aber Fina genoss das Gefühl, diesen Moment festzuhalten, die Kamera auf ihre glücklichen Eltern zu richten und abzudrücken.
    Alles eine Lüge!
    Fina fotografierte ihre Eltern, bis das Bild vor ihren Augen verschwamm. Schließlich senkte sie die Kamera und glitt an der Kirchmauer hinab auf den Boden. Sie versuchte gar nicht erst, die Tränen zu bändigen, die in wilden Strömen über ihre Wangen liefen. Sie versuchte auch nicht, wieder aufzustehen und fortzugehen. Wenn ihre Eltern sie jetzt finden würden, wäre es egal. Vielleicht wäre es sogar am besten, dann könnten sie endlich einmal über die Wahrheit reden.
    Doch niemand beachtete die weinende junge Frau an der Kirchmauer. Seite an Seite genossen Franzosen und Touristen den lauen Sommerabend im Licht des Restaurants, und niemand interessierte sich für die schattigen Flecken des Marktplatzes.
    Nach einer ganzen Weile bemerkte Fina, wie ihre Eltern zahlten und aufstanden. Sie war sich sicher, dass die beiden jetzt in ihr Hotel verschwinden würden. Doch sie kamen in Finas Richtung und blieben im Schatten einer anderen Platane stehen. Wie ein junges Paar, das gerade erst zusammengekommen war, fielen sie übereinander her und küssten sich. Ihre Hände streichelten über den Körper des anderen, verwuschelten ihre Haare und glitten unter die Kleidung.
    Fina hielt den Atem an und blickte wieder durch den Sucher der Kamera. Sie sah die Gesichter so nah, als wäre sie die Zuschauerin eines Kinofilms. Während sie das Paar betrachtete, vergaß sie für einen Moment, dass es ihre Eltern waren. In sanften Bewegungen tasteten die Lippen des Paares nacheinander, begegneten sich, trennten sich, schienen aufeinander zu warten und fanden sich wieder.
    Ein weiches Ziehen zog durch Finas Körper. Es war ein schönes Paar, das dort unter der Platane zueinandergefunden

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