Der geheime Name: Roman (German Edition)
Wiese, die vor ihm lag. Mora wusste, dass es an der Zeit wäre, wieder in seine Erdhöhle zurückzukehren – aber er konnte sich nicht von diesem Platz lösen. Was, wenn das Weibchen herauskäme, sobald er weg wäre? Wenn sie woanders hinginge, ohne dass er es bemerkte?
Mora sammelte trockenes Laub und streute es in eine Mulde zwischen zwei Buchenwurzeln. Als es dunkel wurde, legte er sich hinein, vergrub seinen Körper in der losen Blätterschicht und blickte auf das Licht in den Fenstern des Hauses. Manchmal sah er Silhouetten dahinter entlanghuschen. Er konnte es nicht genau erkennen, aber er stellte sich vor, dass sie es war.
Ein warmes Gefühl strich durch seinen Bauch und bannte seinen Blick in die Helligkeit der Fenster.
Dort drüben begann eine Welt, die er nicht kannte, ihre Welt, in die der Herr ihn niemals ziehen lassen würde.
Nach und nach erloschen die Lichter im Haus, bis der gelbe Schimmer nur noch aus einem der oberen Fenster zu ihm leuchtete.
Plötzlich erschien ihr Gesicht hinter der Scheibe. Sie war es tatsächlich, kein Zweifel. Ihr Blick huschte durch die Dunkelheit und richtete sich genau auf Mora. Er zuckte zusammen. Sie konnte ihn nicht sehen, ganz bestimmt nicht, schließlich war er unter dem Tarnzauber seines Herrn verborgen! Dennoch kam es ihm vor, als würden sich ihre Blicke für einen Moment begegnen.
Gleich darauf wurden ihre Bewegungen hektisch. Sie zog einen dünnen Stoff vor das Fenster, hinter dem einzig ihre dunkle Silhouette zu sehen war. Schemenhaft drehte sich ihr Schatten hinter dem roten Vorhang, nur noch kurze Zeit, bevor sie das Licht löschte und Mora allein in der Dunkelheit des Waldes zurückließ.
Allein! Mora schloss die Augen, um das Gefühl zu ertragen. Doch es half nicht. Seit der Herr ihm seine eigene Höhle zugewiesen hatte, war er allein. So allein, dass selbst die Besuche einer Ricke nicht ausreichten, so einsam, dass er anfing, der Silhouette eines Menschenweibchens nachzulaufen.
Mora fühlte sich erbärmlich, während er in die Dunkelheit des Schlafes davontrieb, und fast schon kränklich, als er wieder aufwachte. Dennoch blieb er auch am nächsten Tag, und am übernächsten. Seinen Hunger versuchte er einfach zu ignorieren. Einzig der Durst trieb ihn manchmal bis zu dem Bach, der kurz hinter ihrer Behausung aus dem Wald kam.
Irgendwann entdeckte er ein Eichhörnchen, das um ihn herum durch die Bäume kletterte. Immer wieder kam es herunter und huschte durch das Laub, ohne sich an seiner Nähe zu stören. Mora erkannte es. Er hatte es im letzten Winter halbverhungert am Rand des Moores gefunden. Es war noch jung gewesen, eine Spätsommergeburt, die von den Eltern verlassen worden war. Offenbar hätten sie das Jungtier nicht über den Winter bringen können. Als Mora es in einer Astgabel entdeckt hatte, war es schon zu schwach gewesen, um davonzulaufen. Also hatte er ihm ein Nest gebaut, möglichst weit von der Hütte und den Fallen des Herrn entfernt. Er hatte ihm täglich Futter gebracht und erst damit aufgehört, als ihm das zahme Eichhörnchen beinahe zu seinem Herrn gefolgt wäre.
Jetzt lief es um Mora herum, sammelte Bucheckern und verbuddelte sie im Laub. Als es schließlich zu Mora kam, trug es noch immer eine Buchecker im Maul. Kurz vor ihm setzte sich das Tierchen hin, nahm die Buchecker in seine kleinen Krallen und ließ sie vor Mora fallen.
»Danke.« Er lächelte, hob das Geschenk auf und schälte die kleine Nuss aus der eckigen Hülle.
Das Eichhörnchen fütterte ihn weiter, hörte aber nach sechs oder sieben Bucheckern auf – vermutlich genug, um einen Eichhörnchenbauch zu füllen.
Mora machte sich nicht die Mühe, selbst nach etwas Essbarem zu suchen. Er fühlte sich noch immer elend, während er auf das Haus blickte. Das Weibchen war seit Tagen nicht herausgekommen.
Hatte er sie vertrieben? Hatte er ihr solche Angst eingejagt?
Plötzlich öffnete sich die Tür, in der sie verschwunden war. Ein kleiner Hund stürmte heraus, rannte über die Wiese so zielstrebig auf Mora zu, dass er aufsprang und zurückwich. Auch das Eichhörnchen stob davon und huschte in langen Sätzen eine Buche hinauf. Für Tiere besaß der Tarnkreis keine Bedeutung. Sie ließen sich nicht täuschen, vielleicht weil ihre Nasen und Ohren empfindlicher waren als ihre Augen. In jedem Fall konnte der Hund ihn wahrnehmen, blieb vor ihm stehen und kläffte ihn an.
»Rübezahl!« Die Stimme des Weibchens rief über die Wiese, traf auf die Bäume und ließ ihr
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