Der geheime Name: Roman (German Edition)
an und lief mit leisen Schritten nach unten. Nur Rübezahl hörte sie und erhob sich schwanzwedelnd von seinem Schlafplatz im Flur.
»Du bleibst besser hier«, flüsterte Fina ihm zu, während sie ihre Schuhe anzog. Nach kurzem Zögern nahm sie den Rucksack mit ihrer Kamera – dann schlüpfte sie aus der Tür.
Ihr Herz klopfte wild, während sich die Dunkelheit des Waldes über sie wölbte. Als wäre sie schon tausendmal hier spazieren gegangen, lief sie auf einem breiten, sicheren Waldweg geradeaus, bis sie wieder das offene Feld erreichte.
Unzählige Male hatte sie sich die Wanderkarte ihrer Oma angesehen, hatte sich alle Wege und das Geländeprofil eingeprägt: Der sicherste Weg ins Moor führte außen um den Wald herum.
Fina folgte ihm, bog schließlich auf einen befestigten Wanderweg ab, der seitlich in das urige Naturschutzgebiet abzweigte. Dunkle Tümpel tauchten zwischen den Bäumen auf. Der salzige Geruch wehte ihr von weitem entgegen.
Sie holte ihre Kamera heraus, um sich abzulenken. Das Licht war zu grau und die Schatten zu kontrastarm, um eindrucksvolle Fotos zu machen. Dennoch suchte sie sich Motive, die am Wegesrand lagen: Eine alte Baumwurzel, die von Moos überwachsen war, ein zutrauliches Eichhörnchen, das bis auf wenige Meter zu ihr herankam, ein Reh, das etwas entfernt zwischen den Bäumen stand – und immer wieder fotografierte sie das Panorama des nebeldurchfluteten Moorwaldes, die schmalen Birkenstämme, einer neben dem anderen vor dem nebligen Grau.
Fina konnte nichts dagegen tun, dass sie sich ärgerte. Es könnten grandiose Fotos werden, wenn wenigstens für einen Moment die Sonne hervorkäme und von hinten durch den Nebel scheinen würde.
Doch sie tat es nicht, und so verschwammen Bäume und Hintergrund zu einem langweiligen Grau.
Wenigstens lenkte das Fotografieren Fina so sehr ab, dass sie den Geruch fast vergaß.
Erst, als sich der Moorwald vor ihr öffnete, nahm sie ihn wieder wahr. Er wehte ihr von dem See entgegen, der plötzlich vor ihr lag. Eine dunkle, weite Fläche, über der weiße Nebelschleier tanzten.
Fina erstarrte und blickte auf den See hinaus. Ein gleichmäßiges Plätschern hallte durch die Stille, schob sich mit winzigen Wellen vor ihr ans Ufer.
Konnte dies der Ort aus ihren Träumen sein? Der Ort, an dem sie sich zu Hause fühlte?
Fina schüttelte den Kopf. Es war ein feuchtes, nebliges Moor. Niemand war an so einem Ort zu Hause.
Mit langsamen Schritten folgte sie dem Wanderweg, der um den See herumführte. Dichte Nebelbänke waberten über dem dunklen Pfad, hingen zwischen den Sträuchern am Wegesrand und schwebten rechts von ihr über den Torfstichen, als wären es fette Geister, die sich an die toten Birken- und Kiefernstämme klammerten.
Endlich ein richtiges Motiv!
Während sie fotografierte, schlich Fina sich näher an die Torfstiche heran, wagte sich auf die schmalen Pfade, die zwischen ihnen hindurchführten, und versuchte, sich zu beruhigen. Aber es gelang ihr nicht. Aus den dunklen Moorlöchern blubberten Blasen zu ihr herauf, ließen den Geruch so stark werden, dass ihr für einen Moment schwindelig wurde.
Von irgendwoher tapsten Schritte auf sie zu!
Fina wirbelte herum.
Ein Eichhörnchen hoppelte zwischen den Torfstichen in ihre Richtung, hielt kurz vor ihr inne und setzte sich auf die braune Erde. Neugierig blickte es zu Fina herauf. Sein buschiger, roter Schwanz wippte auf und ab.
»Du hast mich vielleicht erschreckt.« Fina lachte erleichtert. Ganz leise sprach sie weiter: »Du bist ja zutraulich. Bist du etwa das gleiche Kuschelhörnchen wie eben am Weg?« Sie ging langsam in die Hocke und streckte ihre Hand zu dem Tier aus.
Die kleine Nase reckte sich vorsichtig in Finas Richtung. Schließlich hopste das Eichhörnchen noch ein paar Schritte näher und schnupperte an ihrer Hand.
Fina lächelte. »Du wirst wohl häufiger von Spaziergängern gefüttert. Ich hab leider nichts für dich dabei. Nächstes Mal, okay?«
Das Eichhörnchen reckte den Kopf und blickte an ihr vorbei. Plötzlich hörte sie ein leises Flüstern hinter sich, unverständliche Worte, die vom See zu ihr herüberwehten.
Fina erstarrte. Auch das Plätschern des Wassers hatte sich verändert. Es entsprach nicht dem Rhythmus von Wellen, und dennoch kam es ihr bekannt vor.
Es klang nach einem Schwimmer!
Fina wirbelte herum, starrte auf die Fläche des Sees und suchte zwischen den Nebelbänken nach dem Plätschern. Tatsächlich entdeckte sie den Ursprung der Wellen,
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