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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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voran.
    Irgendwann, an einem der Tage, die wie ein zäher Fluss an ihr vorbeizogen, hatte sie Geburtstag. Seit sie bei ihrer Oma war, verlor sie immer wieder den Überblick über das Datum, und beinahe wäre auch ihr Geburtstag unbemerkt vorübergegangen. Doch der Geburtstagskuchen, der eines Morgens auf dem Küchentisch stand, erinnerte sie daran, dass es tatsächlich schon so weit war: neunzehn Jahre. Ihre Oma hatte ihr zur Feier des Tages einen Vorhang genäht, den sie vor ihrem Bett anbrachten. Sie aßen den Kuchen zusammen und unterhielten sich eine Weile. Doch am Ende war Fina froh, dass sie mit niemandem sonst feiern musste.
    Ob Mora wusste, was ein Geburtstag war?
    Ganz gleich, womit sie sich beschäftigte oder was sie sich einredete – früher oder später kehrten ihre Gedanken zu ihm zurück. Sie wurde das Gefühl nicht los, für ihn verantwortlich zu sein. Wer sonst sollte ihm sagen, dass er nicht so leben musste: in einer Erdhöhle bei offenem Feuer, ausgestattet nur mit Stroh und Fellen und ohne richtige Kleidung.
    Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, wann sein Geburtstag war.
    Ohne sich klar darüber zu sein, was sie vorhatte, fing Fina an, Dinge auf ihrem Nachttisch zu sammeln, die sie ihm zeigen wollte, die ihm in seiner Welt fehlten, mit denen sie sein Leben verbessern könnte. Irgendwann räumte sie die Dinge in ihren Trekkingrucksack, zusammen mit Ersatzkleidung und einer warmen Decke.
    Dennoch konnte sie sich nicht entschließen, wieder in den Wald zu gehen. Sie versuchte, so zu tun, als wäre nichts geschehen, und strickte nach und nach ihren Pullover zu Ende.
    Es war ein verregneter Montagnachmittag, als Fina Vorderteil und Rückteil zusammennähte. Ihre Großmutter war mit ihrem alten Auto zum Einkaufen gefahren und hatte sie mit Rübezahl allein gelassen. Das Feuer im Kamin knackte und zischte, während von draußen der Regen gegen das Fenster schlug. Als Fina endlich ihr fertiges Werk vor sich hielt, hatte sie keinen Zweifel mehr daran, für wen sie den Pulli gestrickt hatte. Sie betrachtete die Farben: ein dunkles Grün als Grundton, und Braun mit Schwarz und Orange in dem Muster, das den Pulli auf der Brust und an den Bündchen durchzog.
    Sie fragte sich, ob Mora bereit wäre, ihr Geschenk anzunehmen, versuchte, sich vorzustellen, wie er in dem Pulli aussehen würde. Es waren seine Farben, die Farben des Waldes, des Moores, das Leuchten des Feuers in seiner Höhle und das Schwarz seiner Augen.
    Ein grollendes Knurren drang aus Rübezahls Kehle. Der kleine Hund sprang auf, starrte mit gesträubtem Fell zum Fenster und fing an zu bellen.
    Fina zuckte zusammen, folgte seinem Blick und erfasste gerade noch eine hektische Bewegung hinter den Butzenscheiben.
    Rübezahl rannte wild knurrend zum Fenster, fletschte die Zähne und bellte so gefährlich, wie Fina ihn noch nie gehört hatte.
    Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Dort draußen im Regen war etwas. Etwas, das zu ihr wollte.
    Für einen Moment saß sie wie erstarrt da. Sie dachte an Mora, an seinen Schatten auf ihren Fotos.
    Konnte es sein, dass er dort draußen war? Dass er zu ihr gekommen war – sichtbar oder unsichtbar?
    »Ruhig, Rübezahl!« Sie versuchte, den Hund zu besänftigen. Doch ihre Stimme zitterte und ließ ihn nur noch wilder knurren.
    Ganz langsam stand sie auf und trat neben ihn ans Fenster. Sie suchte im Regen nach einer menschlichen Gestalt, nach einem Schatten, nach einer Bewegung.
    Dann entdeckte sie es. Es saß im hohen Gras vor dem Mühlbach, schien sie durch das Fenster zu beobachten und raste urplötzlich auf sie zu.
    Fina zuckte zusammen, als das Eichhörnchen vor ihr auf dem Fenstersims landete. Rübezahls Bellen explodierte, während sich das kleine Tier aufgeregt im Kreis drehte.
    Fina lachte auf, fast hysterisch hüpfte der Laut hervor, bevor sie die Erleichterung fühlen konnte. »Rübezahl, aus! Das ist nur Moras Eichhörnchen!«
    Der Hund bellte weiter.
    »Platz!« Fina sah ihn streng an und wartete, bis er sich kleinlaut auf dem Boden zusammenrollte. Schließlich öffnete sie einen Fensterflügel und hielt dem Eichhörnchen die Hand entgegen.
    Das Kleine lief auf ihren Arm, setzte sich auf ihre Schulter und keckerte in ihr Ohr.
    »Was willst du hier?« Fina musste lächeln. »Willst du mir was sagen?«
    Rübezahl knurrte leise.
    Das Keckern wurde noch aufgeregter. Fina sah unwillkürlich zum Wald und entdeckte ein Reh unter den Bäumen. Das Tier blickte sie geradewegs an, beinahe so, als wollte es

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