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Der geheime Name: Roman (German Edition)

Der geheime Name: Roman (German Edition)

Titel: Der geheime Name: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Winterfeld
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Weibchen zu vergessen. Tagein, tagaus schlug er Bauholz, um die Wände und die Decke seiner Erdhöhle abzustützen. Er fällte schmale Kiefern und Fichten, schlug die Äste mit seiner Axt ab, bis glatte Stämme daraus entstanden. Er arbeitete ununterbrochen, ohne zu essen, ohne zu rasten. Nur manchmal hielt er inne, um etwas Wasser zu trinken, wenn der Schwindel so stark werden wollte, dass er fast darunter zusammenbrach. In den kurzen, ruhigen Momenten kam es ihm vor, als säße der Geruch des Weibchens noch in dem Lederhemd, das er sich übergezogen hatte. Gleichzeitig fuhr der Wind so eiskalt unter das schweißnasse Kleidungsstück, dass er beinahe darunter erstarrte – bis er sich wieder erhob und weiterarbeitete.
    Als er noch bei dem Geheimen gelebt hatte, hatte er etwas wärmere Kleidung für den Winter besessen. Jeden Tag dachte er jetzt daran und sehnte sie sich herbei. Aber der Herr verwahrte sie und gab sie ihm nur, wenn er ohne sie erfrieren würde. Für das Leben in seiner Höhle hatte der Geheime ihm jedoch nur die Sommerkleidung überlassen.
    Mora blieb nichts anderes, als sich dünnes Leder um die Füße zu wickeln und stets so schnell zu arbeiten, dass seine Muskeln warm blieben. Er kürzte die Stämme auf die passende Länge, setzte sie in der Höhle zu einem Fachwerk zusammen und baute eine Decke darüber.
    Manchmal sackte er über seinem Lager zusammen und fiel in einen tiefen Schlaf. Doch jedes Mal, wenn er erwachte, brachen die Gedanken über ihn herein, die er nicht hören wollte: Das Weibchen würde nicht wiederkommen. Mora ahnte es, sah ihren letzten Blick immer wieder in seiner Erinnerung. Sie hatte Angst vor diesem Ort, vor ihm, vielleicht sogar vor seinem Herrn, von dem er versehentlich gesprochen hatte. Sie würde nicht zurückkehren – und dennoch arbeitete Mora nur für sie, sicherte die Höhle, damit sie darin leben konnte, damit er sie nicht wieder fortschicken musste.
    Als er das Stützgerüst beinahe fertiggebaut hatte, entschloss er sich, die Höhle zu erweitern, damit das Weibchen einen eigenen Schlafplatz bekam, eine eigene Nische, in der sie sich vor seinem Blick verbergen konnte, wenn sie es wünschte. Er fing an, mit seinem Grabstock die hintere Wand auszuhöhlen, trug die lose Erde in dem Bottich nach draußen und schüttete sie zu einem Wall auf, der den Wind brechen sollte, bevor er über die Höhle hinwegfegte.
    Das Weibchen war gleichwertig mit ihm. Der Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf. Bedeutete das, dass sie ebenfalls eine Dienerin war? Dass sie in ihrem Reich außerhalb des Tarnkreises einen Herrn hatte, dem sie gehorchen musste?
    Dann würde sie schon allein deshalb nicht zurückkehren.
    Der Gedanke zwang Mora auf den Boden. »Fina.« Er flüsterte ihren Namen. Sie war eine Dienerin wie er, deshalb besaß sie einen Namen, damit ihr Herr sie beherrschen konnte.
    Sie hatte ihr Leben riskiert, um hierherzukommen. Beinahe einen halben Mondzyklus war sie jetzt schon fort.
    Ein brennender Schmerz zog durch Moras Körper. Warum konnte er sie nicht vergessen? Warum war sie ihm so wichtig?
    Er kroch auf sein Schlaflager und schloss die Augen. Wie lange war es her, seit er geschlafen hatte? Drei Tage und Nächte mussten es sein, die er fast ununterbrochen gearbeitet hatte. Für sie, nur für sie.
    Er schlief ein, noch bevor er sich zudecken konnte.
    * * *
    Fina wollte nicht ins Moor zurückkehren. Sie hatte Angst, noch einmal in Moras seltsame Welt vorzudringen, in seinen Tarnkreis, in dem er unsichtbar war. Sie verstand nicht, wie so ein Ort überhaupt existieren konnte, und sie wollte gar nicht erst wissen, wer oder was sein Herr war.
    Auch ihre Großmutter war besorgt darüber, dass sie über Nacht weggeblieben war. Fina konnte ihr kaum eine glaubwürdige Erklärung dafür bieten. Sie behauptete, sie habe sich verirrt, ahnte aber, dass Oma Klara ihr wieder nicht glaubte.
    Wenigstens hatte ihre Großmutter nicht gleich die Polizei oder ihre Mutter informiert. Ihr mildes Lächeln verriet, dass sie den Jungen in Verdacht hatte, von dem Fina beim letzten Mal gesprochen hatte.
    Fina sprach nicht mit ihr darüber. Sie bekam Halsschmerzen und leichtes Fieber, was die Worte ihrer Großmutter auf ein anderes Thema lenkte und Finas Entscheidung darüber verschob, ob sie sich noch einmal ins Moor wagen sollte.
    Während sie sich auf dem Sofa vor dem Kamin von ihrer Krankheit erholte, strickte sie wie besessen an dem riesigen Norwegerpulli. Sie wurde immer schneller und kam gut

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