Der geheime Name: Roman (German Edition)
ich würde gerne deine Haare schneiden. Und deinen Bart.«
Mora verneigte sich, zum ersten Mal seit langem. »Wie sie wünscht, Herrin.«
Fina betrachtete seinen gesenkten Kopf. Herrin … Dabei hatte sie gerade geglaubt, dass er sich endlich gleichwertig fühlte.
Vorsichtig legte sie die Hand auf seine Schulter. »Bitte hör auf, dich so zu ducken. Wir machen das nur, wenn du einverstanden bist.«
Mora sah zu ihr auf. Er nahm mit zitternden Fingern die Schere aus ihrer Hand, setzte sie an seine Haare und schnitt eine dicke Strähne ab. Während er das Büschel betrachtete, nickte er langsam. »Es ist ein Scheusal geworden. Sie mag nicht, dass es ein Scheusal bleibt.«
Fina hielt den Atem an. »Nein, Mora. Du bist kein Scheusal. Aber da, wo ich herkomme, tragen die meisten jungen Männer keinen Vollbart.« Sie musste schmunzeln, versuchte, ihn mit ihrem Lächeln zu beruhigen. »Ich möchte gern wissen, wie du unter deinen vielen Haaren aussiehst.«
Mora nickte langsam.
Mit geschlossenen Augen saß er da, während sie seinen Bart mit der Schere kürzer schnitt. Schließlich holte sie ein Goldschälchen mit Wasser und schäumte sein Gesicht mit Seife ein. Der Rasierschaum verbreitete einen altmodischen Geruch. Sie hatte ihn im Badezimmerschrank ihrer Großmutter gefunden, vermutlich noch Überreste ihres Großvaters.
Ganz dicht hockte sie sich vor Mora, während sie sein Gesicht Strich um Strich von der weißen Schicht befreite. Sie konnte sehen, wie er den Atem immer wieder anhielt, ahnte seine Angst in dem verhaltenen Laut, bis es ihr fast schien, als könnte sie auch sein Herz rasen hören – falls es nicht ihr eigener Herzschlag war.
Plötzlich hatte sie Angst vor dem Ergebnis. Was würde sie tun, wenn er hässlich war, wenn sie sich eine Illusion über sein hübsches Lächeln gemacht hatte? Sein Bart war so lang und dicht gewesen, dass sich selbst Narben und Missbildungen darunter verstecken könnten. Nicht einmal seine Zähne hatte sie wirklich sehen können, höchstens für winzige Momente, wenn er lächelte. Was, wenn sie krumm und schief waren, mit schwarzen Löchern in ihren Reihen? Er war sicher nie beim Zahnarzt gewesen, hatte womöglich noch nicht einmal gelernt, dass man sich die Zähne putzen musste – zumindest hatte sie ihn noch nie dabei gesehen.
Vielleicht wäre es besser gewesen, das Geheimnis zu bewahren. Doch jetzt war es zu spät. Also machte sie weiter und rasierte behutsam seine Wangen, sein Kinn, seine Oberlippe, konzentrierte sich auf die letzten weißen Streifen und schwarzen Härchen, die sich verstecken wollten.
Erst als sie nichts mehr fand, wagte sie es, sein Gesicht als Ganzes zu betrachten. Moras Augen waren noch immer geschlossen, ließen ihr noch einen Moment, in dem sie ihn unbemerkt ansehen konnte.
Die Haut an seinen Wangen schimmerte in dem gleichen dunklen Teint wie der Rest seines Körpers. Es war eine warme Farbe, so als hätte sie die Sonne schon in sich gespeichert. Fina wollte ihre Hand danach ausstrecken, wollte die glatte Haut an seinen Wangen fühlen, die weiche Form seines Kinns entlangfahren, bis zu seinem Mund, der halb geöffnet war. Seine Lippen zuckten über einer Reihe gerader weißer Zähne, fast so, als würde er lautlos etwas flüstern.
Ein überraschtes Lachen entwich Finas Kehle. Er war nicht hässlich, er war …
Mora sah sie an, aus schwarzen, funkelnden Augen. Auf einmal erschienen sie viel größer als zuvor. Etwas Weiches lag in seinem Blick, etwas Verletzliches, als würde er ihr Lachen fürchten. Für einen Moment erschien sein Gesicht kindlich, die geschwungene Kontur seiner Nase, sein weicher Mund und die großen Augen.
Fina hielt den Atem an. Vor ihr saß der hübscheste junge Mann, den sie je gesehen hatte. Ein weiteres Lachen rutschte ihr heraus.
Mora erstarrte unter dem Laut. Seine Lippen schlossen sich zu einer harten Linie, winzige Muskeln zuckten an seinen Wangen. Jegliche Weichheit fiel von ihm ab, bis sein Blick so kühl war, dass Fina darunter fröstelte.
Doch auf irgendeine Weise erschien er ihr so fast noch schöner, erwachsener, stärker – und plötzlich so unerreichbar, dass sie Angst hatte, ihn ganz zu verlieren.
Er hatte ihr Lachen falsch verstanden. Wenn sie es nicht erklärte, verlor sie sein Vertrauen. »Ich hab …« Fina stammelte. »Ich hab nur gelacht, weil …« Sie senkte den Blick. »… weil ich dich so schön finde.«
Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Sie wollte seine Reaktion
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