Der geheime Name: Roman (German Edition)
langsam, als sie die Mühle zwischen den letzten Bäumen hindurchschimmern sah.
Am Waldrand blieb sie stehen. Fast kam sie sich vor wie ein wildes Tier, das die Gefahr wittern wollte, bevor sie sich in die Gegenwart der Menschen begab.
Hinter den Butzenfenstern der Mühle leuchtete die Adventsdekoration, vor der Haustür lag ein ungeschmückter Weihnachtsbaum.
Fina atmete auf. Wenn ihre Oma Weihnachten vorbereitete, als wäre es ein ganz normales Jahr, dann schien sie sich um ihre Enkelin keine Sorgen zu machen.
Während sie mit langsamen Schritten auf die Haustür zuging, versuchte Fina nachzurechnen. Sie wollte herausfinden, wie viele Tage es noch bis Weihnachten waren. Doch sie war zu lange weg gewesen, um das genaue Datum bestimmen zu können.
Falls Weihnachten schon morgen war: Wie sollte sie ihrer Oma klarmachen, dass sie gleich wieder gehen wollte? Wie sollte sie ihr überhaupt irgendetwas erklären?
Als Fina die Haustür aufschloss und im Flur ihrer Großmutter gegenüberstand, brachte sie nur eine lose Sammlung schuldbewusster Worte hervor. Wie sollte sie auch erzählen, was los war, ohne dabei von Mora zu sprechen?
Doch ihre Großmutter kam lachend auf sie zu und nahm sie in die Arme. »Ach Josefinchen. Ich weiß doch schon lange, dass du dich verliebt hast. Auch wenn du dir selbst etwas vorgemacht hast – ich hab gewusst, dass du bald wieder bei ihm sein willst.«
Die Worte trafen auf Finas wunde Seele und brachten sie beinahe zum Heulen. Während ihre Oma sie zu einem Milchreis einlud, konnte Fina nicht anders, als ihr von Mora zu erzählen, zumindest einen Teil der Geschichte, vermischt mit kleinen Lügen. Die gruseligen Details sparte sie aus: den Tarnkreis und Moras seltsame Kleidung, seine fremde Sprechweise und seinen dubiosen Herrn, den es irgendwo zu geben schien.
Stattdessen behauptete sie, er sei von zu Hause ausgerissen und lebe nun im Wald in einer Erdhöhle. Sie erzählte, dass seine Eltern ihn geschlagen und schlecht behandelt hätten, und dass er gerade erst anfange, ihr zu vertrauen. Fina konnte nicht anders, als von Moras brauner Haut und dem Funkeln seiner Augen zu schwärmen. Mit leiser Stimme gab sie zu, wie verwirrt sie sei, dass sie ihn immer berühren wolle – während er ihren Berührungen ausweiche. Sie gestand ihrer Großmutter, wie sehr sie seinen harten, abweisenden Blick fürchte und dass sie furchtbare Angst habe, ihn zu verlieren.
Aber ihre Großmutter schüttelte nur gutmütig den Kopf: »Wenn man die Liebe nicht kennt, dann braucht sie sehr viel Zeit. Hab Geduld mit ihm, Fina. Er braucht dich.«
Oma Klara hatte Verständnis dafür, dass sie so schnell wie möglich zu Mora zurückwollte. Sie lächelte nur, als Fina nach dem Essen aufsprang und nach oben lief.
Noch auf dem Weg in ihr Zimmer ging Fina in Gedanken die Dinge durch, die sie einpacken wollte. Sie hatte sich vorgenommen, Mora weitere Bücher mitzubringen. Weil er es gemocht hatte, als sie ihm vorlas, weil die Geschichten ihm viel über die Welt erzählen konnten.
Doch während sie eine Reihe ihrer Lieblingsromane durchblätterte, fand sie nichts, was für ihn in Frage kam. In ihren Fantasybüchern wurden Welten beschrieben, die mit ihrer nichts gemeinsam hatten, wurden zumindest Dinge für wahr genommen, die in der Realität gar nicht existierten. Wenn sie ihm solche Geschichten vorlas, würde Mora niemals lernen, was es in ihrer Welt gab und was nicht.
Doch ihre realistischen Bücher waren auf ganz andere Weise ungeeignet. Immer wenn Fina den Anfang der Geschichten las, wurde ihr klar, dass Mora sie gar nicht verstehen würde. Autos, Städte, Schulen … Beinahe jedes zweite Wort beschrieb etwas, wovon er keine Vorstellung hatte.
Und außerdem – wie sollte sie ihm begreiflich machen, dass die Geschichten von einem fiktiven »Ich« handelten. Er hatte gerade erst gelernt, dass sie von sich selbst sprach, wenn sie »ich« sagte.
Finas Blick fiel auf die Regalreihe mit ihren Tagebüchern. Es war schön gewesen, ihm daraus vorzulesen, fast so, als könnte sie ihre Vergangenheit mit ihm teilen. Auch Mora hatte es gemocht. Er hatte sogar ihre Worte daraus gelernt.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie wollte damit weitermachen, wollte ihm ihr Leben offenlegen.
Die ganze Welt kam darin vor! Fina erkannte es mit einem Schlag: Sie hatte so viele Länder gesehen – und alles Wichtige daraus in ihr Tagebuch geschrieben. Es war der beste Weg, um ihm zu zeigen, wie die Menschen lebten.
Fina musste
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