Der geheime Name: Roman (German Edition)
lächeln, während sie ihre Tagebücher in den Rucksack steckte, zusammen mit ihrer Kamera und den Speicherchips der letzten Jahre. Sie packte noch saubere Wäsche ein, und nur zwei Stunden nach ihrer Ankunft nahm sie das alte Auto ihrer Großmutter und fuhr nach Walsrode, um einzukaufen. Sie durchsuchte die Geschäfte, bis sie eine Jeans fand, die so aussah, als würde sie Mora passen. Dazu kaufte sie Unterwäsche und T-Shirts, und schließlich fand sie in einem Schuhladen ein robustes Paar Stiefel, von dem sie hoffte, dass es in etwa seine Größe hatte.
Es war schon Nachmittag, als sie in den Supermarkt ging, um neues Salz zu besorgen. Sie wollte für Mora Milchreis kochen, und Nudeln mit einer leckeren Soße. Außerdem wollte sie so viele Lebensmittel mitnehmen, wie sie tragen konnte.
Der Laden war voll von hektischen Vorweihnachtseinkäufern, und Fina musste im Slalom um andere Menschen und Einkaufswagen herumlaufen. Sie suchte verschiedenes Gemüse und Obst aus und sondierte den Inhalt der Regale danach, welche Nahrungsmittel viele Nährstoffe enthielten und gleichzeitig möglichst wenig Gewicht besaßen.
Auf dem Weg zur Kasse blieb sie schließlich bei den Zeitschriften stehen. Bilder waren wohl am besten geeignet, um Mora ihre Welt zu zeigen. Also stellte sie eine Auswahl von Zeitschriften zusammen, in denen es viele Fotos gab.
Plötzlich fiel ihr Blick auf einen Angebotsständer mit Kinderbüchern. Darunter war auch ein dickes Märchenbuch mit hübschen Zeichnungen. Wenn irgendjemand so lebte wie Mora, dann Märchenfiguren: im Wald, in einfachen Hütten, bei offenem Feuer und nur mit Fellen ausgestattet. Unter den ärmsten und demütigendsten Bedingungen, so lange, bis sie den bösen Herrscher besiegten und die Liebe der schönen Prinzessin gewannen.
Wenn es fiktive Geschichten gab, die Mora verstehen konnte, dann diese.
Fina legte das Märchenbuch kurzentschlossen in ihren Wagen und schob ihn zur Kasse. Bei den Süßigkeiten blieb sie noch einmal stehen und überlegte, ob sie Mora einen Schokoriegel mitbringen sollte. Wenn man so etwas noch nie gegessen hatte, musste es das Größte sein.
Zwischen den Süßigkeiten und den Zigaretten blieb ihr Blick auf einer schwarz-bunten Packung haften – auf einer Sache, die sie noch nie gebraucht hatte.
Plötzlich wurde ihr heiß und kalt, allein bei dem Gedanken, dass sie es kaufen könnte. Das ist nicht dein Ernst, Fina. Sie starrte auf die Kondome, konnte sich ein albernes Kichern nur gerade so verkneifen.
Mora berührte sie noch nicht einmal. Er wurde wütend und aggressiv, wenn sie ihm zu nah kam. Wie kam sie darauf, dass er jemals mit ihr schlafen würde?
Sie hielt den Atem an. Sei ehrlich, Fina. Weil sie es sich wünschte. Weil sie mit jedem seiner Blicke darauf hoffte, dass er ihr endlich näherkam.
Und weil es extrem dumm wäre, keine Kondome zu haben, falls sie irgendwann doch übereinander herfielen.
»Stehst du an, oder übst du dich in Telekinese?«, mit diesen Worten tauchte ein junger Mann neben ihr auf.
Fina zuckte zusammen. Ihr Einkaufswagen versperrte den Zugang zur Kasse, genau dort, wo das Vorweihnachtschaos am größten war. Die Kunden vor ihr waren schon fertig, und die Kassiererin winkte bereits.
»Äh. Sie können ruhig vor.« Fina schob den Wagen zur Seite und ließ den Mann vorbei. Mit einer hastigen Bewegung zog sie eine der Kondompackungen aus dem Regal und schob sie unter ihre Zeitschriften.
* * *
Es war schon dunkel, als Fina über den provisorischen Bretterpfad durch den Moorwald lief. Doch sie wollte nicht bis morgen warten, wollte so schnell wie möglich wieder bei Mora sein. Ihr Rucksack wog schwer auf ihrem Rücken. In der Dunkelheit konnte sie ihren Weg kaum ausmachen, und die schmalen Pfade schwankten unter ihren Füßen. Wenigstens war ihre Balance inzwischen besser geworden, und schließlich erreichte sie den versteckten Teil des Waldes, in dem Mora lebte.
Der Wald umfing sie mit einem Dickicht aus Baumstämmen und Schatten, versah ihren Pfad mit einem Dach, das aus einem Gewirr von Kiefernzweigen bestand. Während sie sich darauf konzentrierte, nicht von ihrem Weg abzukommen, raschelte und knackte es hinter ihr im Unterholz. Nach einer Weile kam es ihr vor, als würden die Geräusche ihr folgen – beinahe so, als wäre dort jemand, der sie beobachtete.
Fina sah zurück, spähte über ihre Schulter in das Gebüsch.
Es war nichts zu erkennen.
Für einen Moment dachte sie an Mora, an seine unsichtbare
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