Der Geheime Orden
sind wir auf diese Welt gekommen, und nackt werden wir sie wieder verlassen. Von Staub sind wir gekommen, und zu Staub sollen wir werden.«
»Links von ihr muss Collander liegen«, sagte Dalton.
Wir rutschten ein Stück weiter. Nachdem wir das Laub zur Seite gefegt und weiteres Unkraut und Gestrüpp weggerissen hatten, fanden wir den zweiten Grabstein.
Collander Wendell Abbott
Demütiger Diener Gottes
1887-1977
Dalton und ich sagten kein Wort, so sehr spürten wir, wie nahe wir einer Antwort waren. Wieder ein kleines Stück weiter machten wir uns erneut daran, das Grünzeug zu entfernen. Vielleicht hatte die Angst mein Urteilsvermögen getrübt, aber ich hatte das Gefühl, dass wir eine Stunde lang auf dem Stück Erde herumgekratzt hatten, bis wir den Stein fanden. Er war kleiner als die anderen beiden und aus schwarzem Marmor.
Erasmus Danforth Abbott
Verlorener Sohn
1908-1927
»O Gott!«, sagte Dalton. »Die Antwort auf ein sechzig Jahre altes Rätsel liegt direkt unter unseren Füßen begraben.«
»Was bedeutet es schon, wenn er wirklich hier liegt?«, fragte ich.
»Es bedeutet, dass Collander Abbott sehr viel mehr über das Verschwinden seines Sohnes wusste, als er zugeben wollte.«
»Aber es beweist immer noch nicht, dass Erasmus in jener Nacht bei dem Versuch umgebracht wurde, ins Haus des Delphic einzusteigen. Er konnte zu einer anderen Zeit gekidnappt und ermordet worden sein, und die Abbotts haben alles unter Verschluss gehalten, um unerwünschte Öffentlichkeit zu vermeiden.«
»Möglich«, sagte Dalton. »Oder sie wussten, wer ihn umgebracht hatte und warum, und beschlossen, den Mund zu halten und Gras über die Sache wachsen zu lassen.«
»Eins nach dem anderen«, sagte ich und rammte meine Schaufel in die Erde. Dalton nickte und machte sich neben mir ebenfalls an die Arbeit.
Während wir unserer schrecklichen Aufgabe nachgingen, sprachen wir kaum miteinander. Die kreischenden Laute von Fledermäusen, Vögeln und nächtlichem Kleingetier gellten durch die Dunkelheit, während unsere Schaufeln gegen den harten Boden und Steine knirschten. Nach einer halben Stunde legten wir eine kurze Pause ein. Als unsere Arme sich erholt hatten, machten wir weiter. Ich stieß als Erster auf etwas. Zuerst dachte ich, es wäre wieder nur ein Stein, doch als ich versuchte, um den vermeintlichen Stein herumzugraben, traf meine Schaufel immer wieder auf dieselbe harte Oberfläche. Ich kniete mich hin und schob die Erde mit den Händen zur Seite, bis ich schließlich den stumpfen Glanz einer Metalllegierung sah.
»Du hast es gefunden!«, sagte Dalton und fiel neben mir auf die Knie.
Es war ermüdend und nicht gerade der einfachste Teil der Arbeit, auch noch die restliche Erde zu entfernen, wenn man bedenkt, wie wenig Bewegungsspielraum wir hatten. Deshalb war es schon weit nach Mitternacht, als wir den ganzen Sarg freigelegt hatten. Mein Kreuz fühlte sich an, als hätte jemand mir eine Klinge in die Wirbelsäule gerammt.
»Möchtest du die Ehre haben?«, fragte Dalton und stieß seine Schaufel in einen Erdhaufen.
»Wir tun es gemeinsam«, sagte ich.
Wir bekreuzigten uns, bevor wir nach unten griffen und am Deckel zogen. Er öffnete sich nicht beim ersten Versuch, also suchten wir einen besseren Griff und probierten es noch einmal. Er rührte sich immer noch nicht. Schließlich kniete ich mich hin und tastete den Rand mit meiner Hand ab. Ich konnte eine kleine Öffnung erfühlen.
»Wir müssen das gute Stück aufstemmen«, sagte ich, griff nach meiner Schaufel und schob sie unter den Deckel.
Nachdem auch Dalton seine Schaufel in Anschlag gebracht hatte, drückten wir ihre Griffe so kräftig wir konnten nach unten. Ich wusste, dass die Schaufeln eher zerbrechen würden, als dass der Sargdeckel sich auch nur rührte, aber dann spürten wir, wie das alte Metall langsam nachgab, und hörten das Knirschen der rostigen Scharniere. Wir schoben die Schaufelblätter tiefer unter den Deckel und stellten uns so auf, dass wir einen besseren Hebel hatten. Es funktionierte. Wir schauten uns für einen Moment in die Augen, bevor wir nach unten griffen und den Deckel anhoben. Ich war mir nicht sicher, was mich erwartete, doch ich stellte mir vor, dass Abbotts Skelett nach so vielen Jahren nur noch ein Haufen Staub sein würde. Dann überkamen mich Vorstellungen von einem verwesenden Körper, bedeckt mit Maden und anderen Aas fressenden Insekten, und von einem widerlichen Geruch, der uns auf der Stelle
Weitere Kostenlose Bücher