Der Geheime Orden
Übelkeit erregen würde. Aber nichts dergleichen trat ein. Unsere Blicke richteten sich jetzt auf eine kleine Silberurne, die aussah wie einer der Golfpokale, die von den Spielern geküsst und in die Höhe gereckt werden, wenn sie ein großes Turnier gewonnen haben.
»Mach schon«, sagte Dalton zu mir. »Du bist der Beitrittskandidat. Du nimmst sie heraus.«
»Warum ich?«, sagte ich. »Das Ganze war deine Idee.«
»Na, was soll’s«, sagte er, griff nach unten und hob die Urne heraus.
Er hob sie gegen das Licht, damit wir die Inschrift lesen konnten. Abbotts Name stand darauf, sein Geburtsdatum und sein Sterbedatum. Das Silber war beinahe schwarz geworden, als wäre es von Feuer verbrannt worden.
»Das Teil ist ganz schön schwer«, sagte Dalton. »Der gute alte Erasmus muss ein ziemlicher Dickmops gewesen sein.«
Er reichte mir die Urne. Ich war erstaunt, wie schwer sie angesichts ihrer kleinen Ausmaße war.
»Glaubst du, dass seine Asche da drin ist?«, fragte ich.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Dalton.
Als ich die Urne umdrehte, um ihren Deckel zu öffnen, sprang mir etwas ins Auge. Ich drehte sie in meiner Hand, um besseres Licht zu bekommen, konnte aber nur schwer entziffern, was dort stand.
»Hier steht etwas, aber es ist zu dunkel hier, um es lesen zu können«, sagte ich, nahm meinen Hemdsaum und rieb damit die Urne in kräftigen, langsamen Kreisbewegungen ab. Dann hielt ich sie wieder ins Licht.
»Was steht da?«, fragte Dalton.
Ich betrachtete die Worte und erkannte sofort die eigentümliche Grammatik und die seltsame Orthographie wieder. »Du wirst es nicht glauben, aber ich nehme an, das ist ein weiterer Teil des Glaubensbekenntnisses der Altehrwürdigen Neun, das wir im Buch der Nachfolge gefunden haben.«
»Willst du mich verarschen?«, sagte Dalton und nahm die Urne wieder an sich, drehte und studierte sie, bis er zufrieden war, und hob schließlich den Deckel ab. Im Innern befand sich ein kleines, angelaufenes Silberkästchen. Auf dem Deckel waren Erasmus Abbotts Initialen eingraviert.
Ich klappte langsam den Deckel hoch und sah einen kleinen Haufen Asche. Nach ein paar Minuten sagte ich: »Hier ist irgendetwas oberfaul. Es wurde nie ein Bericht veröffentlicht, nach dem seine Leiche gefunden worden sei. Es gab auch keine Berichte von einer Beerdigung. Die Abbotts haben etwas verheimlicht.«
»Oder ein tödliches Geheimnis geschützt«, sagte Dalton.
Wir hatten Abbotts Sarg fast wieder zugeschaufelt, als uns die Geräusche von der anderen Seite des Waldes erreichten. Diese Geräusche stammten nicht von Tieren. Es waren Stimmen. Tiefe Stimmen. Eine von ihnen rief Anweisungen. In einiger Entfernung konnte ich sehen, wie Taschenlampen systematisch den Wald ableuchteten.
»Lass uns abhauen!«, sagte ich zu Dalton. »Sie wissen, dass wir hier sind.«
Ich schnappte meine Schaufel und wollte die Beine in die Hand nehmen, als Dalton mich am Arm packte.
»Wir können nicht auf dem Weg zurück«, sagte er.
»Aber wir sind doch so gekommen«, entgegnete ich.
»Grund genug, um einen anderen Weg nach draußen zu finden. Wenn sie wissen, dass wir hier sind, wissen sie wahrscheinlich auch, wie wir aufs Grundstück gekommen sind.«
Er steckte die Urne in seinen Rucksack, griff sich seine Schaufel und zeigte in die entgegengesetzte Richtung.
»Wir haben eine sehr viel bessere Chance, wenn wir versuchen, auf das Nachbargrundstück zu kommen«, sagte er.
»Aber wie sollen wir über den Zaun? Wir haben das Seil zurückgelassen.«
»Der Zaun muss ja irgendwo aufhören. Wir folgen ihm durch den Wald bis zum Ende.«
Die Stimmen waren näher gekommen. Wir konnten hören, wie Zweige unter schweren Fußtritten zerbrachen. Die Lichter von Taschenlampen huschten im Zickzack über den Waldboden, als die Unbekannten hastig in der Dunkelheit umher leuchteten.
Wir liefen entschlossen und schnell, während ihre Stimmen hinter uns leiser wurden. Vereinzelte Zweige rissen an unserer Kleidung, und halb vergrabene Steine malträtierten unsere Fußgelenke, als wir uns über den holperigen Boden vorankämpften. Ein paar Mal wäre ich fast gestürzt, doch die eng stehenden Bäume gaben mir glücklicherweise Halt.
Dann blieb Dalton plötzlich stehen.
»Was ist los?«, sagte ich außer Atem. Meine schmerzenden Beine waren dankbar für die Pause, und das Herz drohte mir die Brust zu zersprengen.
»Mir nach«, sagte Dalton.
Wir waren etwa siebzig Meter von der Grabstätte
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