Der Geheime Orden
einzuschlafen drohte, unsere Studentenausweise. Nachdem er uns durchgewinkt hatte, ohne sich unsere Ausweise auch nur anzusehen, nahmen wir den Fahrstuhl in den vierten Stock und suchten uns einen freien Saal.
Die Studenten des Instituts für Kunst und Gestaltung waren eine Mischung aus angehenden Künstlern, Fotografen und Filmemachern, von denen wir anderen nie so recht wussten, was sie für ihre Kurse taten oder wie sie ihre Leistungsnachweise erbrachten. Sie sahen nie so gestresst aus wie wir, hatten selten einen Grund, eine der großen Bibliotheken aufzusuchen, und verschwanden manchmal tagelang im Carpenter Center. Es schien irgendwie nicht fair, dass wir zu Prüfungszeiten ganze Nächte durchmachen mussten, um Kant oder Melville zu lesen, während diese Leute die ganze Nacht aufblieben, rauchten und lachten und zusammen an einem Projekt arbeiteten, dessen Abgabetermin verhandelbar war.
Wir entdeckten schließlich einen kleinen, unverschlossenen Raum am Ende des Flurs, eingequetscht zwischen der Besenkammer des Hausmeisters und dem Ausgang zum Treppenhaus.
»Schauen wir uns zuerst das Foto an«, sagte Dalton. »Ich werde es mit in die Innenstadt nehmen und zu einem Fotoladen bringen, dessen Inhaber ich kenne. Er wird es vergrößern, dann sehen wir mehr.«
Wir begaben uns zur Rückwand des Raums, wo auf einem langen Tisch eine Reihe unterschiedlich großer Leuchtkästen stand. Dalton entfernte sorgfältig die Rückseite des Rahmens und nahm das Schwarzweißfoto heraus. Die drei Fackeln befanden sich am unteren Rand in der Mitte. Er nahm sich eine Lupe und betrachtete die Aufnahme.
»Ich glaube, sie haben eine Art Puder aufgelegt«, sagte er. »Ihre Hautfarbe wäre sonst nicht so einheitlich.«
Ich schaute ihm über die Schulter und zählte als Erstes die Anzahl der Gesichter. Es waren neun.
»Da ist diese Reflexion«, sagte Dalton. »Ich kann nur seine Stirn und eines seiner Augen erkennen. Irgendetwas verdeckt den Rest vom Gesicht.«
Er reichte mir die Lupe, und ich begann mit den fünf sitzenden Männern. Sie trugen alle dunkle Kleidung und Krawatten. Ihre Mäntel wurden am Hals von einer Art Brosche zusammengehalten. Jeder hielt eine brennende Fackel in der rechten Hand. Ihre Beine waren auf identische Weise gekreuzt, indem sie das rechte Fußgelenk vors linke gesetzt hatten.
Danach betrachtete ich ihre ernsten Gesichter. Einige waren älter als die anderen, doch alle strahlten Gefährlichkeit aus. Ich betrachtete die unterschiedlichen Farbtöne von ihren Wangen bis zum Hals und verstand jetzt, warum Dalton gesagt hatte, dass sie eine Art Puder benutzt haben mussten. Ich wandte mich den stehenden Männern zu, die ähnlich gekleidet waren wie die sitzenden. Sie hielten die Fackeln in die Höhe; ihre linken Hände ruhten auf den rechten Schultern der Männer, die vor ihnen saßen. Niemand lächelte.
Ich inspizierte die Ränder der Aufnahme, bis ich in einem der Fenster das Gesicht sah. Ich wusste sofort, dass es ein Schwarzer war. Er wurde zum großen Teil von einem rechteckigen Objekt verdeckt, doch eines seiner Augen sowie Teile seiner Nase und seines Mundes waren zu sehen. Sein muskulöser Hals saß auf breiten Schultern. Was hatte er dort zu suchen?
»Denkst du dasselbe wie ich?«, fragte Dal ton.
Ich nickte. »Das muss eine Aufnahme der Altehrwürdigen Neun sein.«
»Und wie es aussieht, bereiten sie sich auf eine Art Zeremonie vor, oder sie haben sie gerade hinter sich.«
»Aber warum lassen sie sich fotografieren?«, sagte ich. »Damit verstoßen sie doch gegen ihr Geheimhaltungsgebot.«
Plötzlich wurde mir der Zusammenhang klar. »Moss Sampson«, sagte ich, griff nach der Lupe und schaute mir das Foto noch einmal an.
»Bingo. Er war der Einzige, dem sie trauen konnten. Er war ihr verlängerter Arm, der Hüter ihrer Geheimnisse. Er hatte Erasmus Abbott umgebracht.«
»Sie haben Sampson alles anvertraut. Aber dann wurde Abbott umgebracht, der Sohn eines Ordensritters.«
»Also zahlten sie ihm Schweigegeld, damit er ihr Geheimnis bewahrte, und er verschwand still und heimlich.«
Wir betrachteten beide noch einmal das Foto.
»Glaubst du, dass die Aufnahme im Hof des Delphic entstanden ist?«, fragte Dalton.
»Das wäre meine Vermutung.« Ich sah mir das Bild noch einmal an. »Ich war nur etwa vierzig Minuten dort, bevor wir zu unserem Ausflug gestartet sind, also habe ich dort nicht viel Zeit verbracht. Aber die Art und Weise, wie diese Aufnahme gemacht wurde, und die Säulen im
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