Der Geheime Orden
Frau hat mich deswegen sogar verlassen, aber das ist eine andere Geschichte, die ich Ihnen ein anderes Mal gerne erzähle. Aus all dem, was ich sicher weiß, schließe ich, dass der König auf einer der Seiten – oder auch auf beiden – ein Gedicht geschrieben hat. Viele Gelehrte glauben, dass diese Seiten gerade deswegen so wertvoll sind.«
Ich wusste nicht, ob ich ihn richtig verstanden hatte. »König Jakob hat Gedichte geschrieben?«, sagte ich.
»Überrascht Sie das so sehr?« Davenport lachte. »Bei all seinen Schwächen war Jakob ein ausgezeichneter Mann des Wortes. Bevor er starb, hatte er eine beeindruckende Reihe literarischer Werke produziert. Er kann sich einige Bücher und Gedichte zugute schreiben.«
»Wenn er so viele Gedichte und Bücher geschrieben hat, was ist dann an diesem einen so besonders?«, fragte ich.
Davenport beugte sich zu mir herüber. Ich konnte die Haare zählen, die aus seinen weiten Nasenlöchern sprossen. »Machen Sie keinen Fehler, junger Mann«, sagte er. »Dieses Gedicht war wie kein anderes. Einige von uns sind der Auffassung, dass dieses eine Gedicht seine eigene Kirche und das ganze Christentum zum Einsturz bringen könnte.«
35
Ich war mächtig stolz auf mich, als ich am Harvard Square mit einem Dutzend rosa Rosen, einer Schachtel Godiva-Pralinen und einer Best-of-Prince-CD in die U-Bahn stieg. Ich hatte Ms. Garrett angerufen und alles arrangiert. Ashley würde nicht vor halb acht von ihrem letzten Seminar nach Hause kommen, also hatte ich genug Zeit, um nach dem Training nach Haus zu radeln, rasch zu duschen und zu Ashleys Wohnung nach Roxbury zu fahren, bevor sie zurückkam. Ich hatte sie absichtlich noch nicht angerufen, um sie in dem Glauben zu lassen, ich hätte ihren Geburtstag vergessen. Ich konnte meine Aufregung kaum zügeln, wenn ich mir vorstellte, was für ein Gesicht sie machen würde, wenn sie durch die Tür kam und mich mit ihren Geburtstagsgeschenken dort sitzen sah. Ich hatte ein weiteres Mal mein Konto geplündert, aber ich wusste, dass das Lächeln auf ihrem Gesicht jeden Penny wert sein würde.
Ich hatte mir eine genaue Wegbeschreibung von Ms. Garrett geben lassen. Ich nahm den Zug zur Park Street, stieg ein paar Mal um und landete an einer viel befahrenen Straße am Rande von Roxbury. Als ich fünf Minuten lang durch ein heruntergekommenes Viertel mit leeren Grundstücken und verfallenen Mietshäusern spaziert war, keimte in mir die Sorge auf, den falschen Weg genommen oder eine Abbiegung verpasst zu haben. Es war völlig unmöglich, dass Ashley in so einer Gegend wohnte, die mich an die schlimmsten Straßen von Chicago erinnerte, um die ich stets einen Bogen gemacht hatte. Ausgeschlachtete, verrostete Autos standen aufgebockt auf Betonblocken, und Teenager in zu weiten Klamotten und Baseballmützen hingen grüppchenweise an den Straßenecken herum und warfen mir bösartige Blicke zu, als ich an ihnen vorbeiging. Ich wollte gerade kehrtmachen und zum Bahnhof zurück, als ich ihre Straße sah und Ms. Garretts Anweisungen folgend nach rechts abbog.
Kastenförmige Mehrfamilienhäuser säumten die engen Bürgersteige. Sie sahen alt und schrecklich vernachlässigt aus, mit abblätternder Farbe auf zerbröckelndem Putz, losen Holzplanken, die im Wind wackelten, und Löchern in den Fenstern, die mit schwarzem Klebeband abgedichtet waren. Die meisten Straßenlaternen funktionierten nicht, und viele der Eingangstüren waren mit einer schwer gepanzerten Vortür verstärkt worden. Je weiter ich ging, desto offensichtlicher wurde es, warum Ashley nicht wollte, dass ich sie abends nach Hause begleitete. Sie schämte sich dafür, wo sie lebte.
Schließlich erreichte ich ihr Haus, ein bescheidenes, zweigeschossiges Gebäude mit gelben Vinylbeschlägen, die an einigen Stellen verblasst und an anderen von dickem Schmutz bedeckt waren. In der Einfahrt neben dem Gebäude stand ein schrottreifer Lieferwagen, und die vordere Veranda neigte sich leicht zur Seite. Ich stieg die unregelmäßigen Stufen hinauf und fand ihren Namen auf der unteren der beiden Türklingeln. Ich drückte darauf, und Augenblicke später hörte ich ein Summen. Ich stieß die Vordertür auf und betrat einen kalten, dunklen Flur, von dem eine steile, wackelige Treppe zu einer Tür im Obergeschoss führte. Ich stieg die Stufen hinauf, die mit einem abgewetzten Teppich bezogen waren. Als ich fast oben war, öffnete sich die Tür, und eine groß gewachsene Frau in einer schlichten schwarzen
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